Kolumne

Referendariat : Öffnet die Türen der Klassenzimmer!

Das Referendariat ist Teil der Lehrerausbildung. Vor allem in Unterrichtshospitationen sollten sich angehende Lehrerinnen und Lehrer ausprobieren und zeigen, wo sie sich noch unsicher fühlen. Die Realität sieht aber oft anders aus, haben die beiden Referendarinnen Sophie Krüger und Anna van Meegen festgestellt. Die eine hat ihr Referendariat gerade abgeschlossen, die andere steckt mittendrin. Hospitationen würden häufig eher als Prüfungssituation betrachtet, mit der Folge, dass viele Referendarinnen und Referendare nach dem Vorbereitungsdienst lieber hinter geschlossenen Türen arbeiten. Krüger und van Meegen, die zur studentischen Initiative „Kreidestaub“ gehören, wollen die Türen aber öffnen und wünschen sich mehr Austausch über Unterricht – auch nach dem Referendariat. Für das Schulportal schreiben Mitglieder von Kreidestaub regelmäßig Kolumnen, in denen sie Schule aus Ihrer Sicht betrachten.

junge Lehrerin sitzt auf Bank in der Schule
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©Gerade im Referendariat ist Austausch wichtig. In vielen Situationen fühlen sich angehende Lehrkräfte sonst allein.

Bis zu meiner Examensprüfung sind es noch zwei Wochen. Viele meiner Kolleg:innen sprechen mich im Lehrer:innenzimmer auf die nahende Prüfung an. Ich, Anna, höre Fragen wie „Wann ist es endlich vorbei?“ und „Du bist sicherlich froh, wenn der ganze Stress ein Ende hat, oder?“.

Ich schaffe es, die negative Bewertung des Referendariats, die in den Fragen mitschwingt, zu überhören und die Fragen freundlich zu beantworten. Schwieriger ist es mit den Ratschlägen. Eine Kollegin sagt mir: „Wenn du die Prüfung hinter dir hast, kannst du endlich die Türe schließen und machen, was du für richtig hältst.“ Auf dem Weg zum Klassenzimmer gehen viele Gedanken durch meinen Kopf: Und wenn ich die Türen gar nicht schließen will? Wenn ich meine Kolleg:innen in meinen Unterricht einladen möchte und von ihnen eingeladen werden will? Wenn ich mit ihnen gemeinsam darüber nachdenken will, was jede:r Einzelne von uns für richtig hält?

Es sind weitere Gespräche mit Mitreferendar:innen und Kolleg:innen wie diese, die mich vermuten lassen, dass es nicht nur einzelne Schulen sind, in denen die Türen zu den Klassenzimmern verschlossen bleiben. Es ist bekannt, dass kollegiale Kooperation selten über den Austausch von Unterrichtsmaterialien hinausgeht. Doch warum ist das so, und welche Konsequenzen hat das? Und, noch viel mehr: Was könnten wir gewinnen, wenn wir das verändern?

Hospitationen als Gelegenheit sich auszuprobieren

„Herzlich willkommen, liebe Referendar:innen! Wie schön, dass Sie sich dafür entschieden haben, Lehrer:in zu werden. Lehrer:in zu werden wird, wie jeder gute und wahrhaftige Lernprozess, von Irrtümern, Misserfolgen, aber auch von Höhenflügen und Euphorie geprägt sein. Es ist Ihr Raum, sich auszuprobieren und Schritt für Schritt eine Lehrer:innenpersönlichkeit zu formen, mit der Sie bei Ihren Schüler:innen Wirkung entfalten können. Trauen Sie sich was, und haben Sie Freude daran!“

Ich, Sophie, habe mir während des Studiums häufig vorgestellt, dass ich am ersten Tag meiner Ausbildung so oder so ähnlich von meinen Ausbilder:innen begrüßt werde. Tatsächlich habe ich so eine Haltung auch bei bisherigen Unterrichtshospitationen erlebt. Sie können im Lernprozess eine große Wirkung entfalten, wenn sie als Gelegenheit wahrgenommen werden, etwas auszuprobieren oder etwas zu zeigen, mit dem man sich noch unsicher fühlt.

In genau diesem Sinne warb auch Annas Fachseminarleiterin für die Unterrichtsbesuche und sagte ihr mal: „Lad mich zu der Unterrichtsphase ein, bei der du am ehesten kollegiale Beratung gebrauchen kannst.“ Eine Haltung dieser Art lädt zum Fehlermachen und Experimentieren ein – wird in dieser Form aber leider nicht allen Referendar:innen zuteil.

Lernen im Referendariat zu zweckorientiert ausgerichtet

Die Mehrheit der Referendar:innen erlebt Unterrichtsbesuche als Prüfungsformat und nicht als ein Lernformat, sodass ihre Lernkultur während des Referendariats unweigerlich davon geprägt wird. Hierin unterscheiden sich die angehenden Lehrer:innen offenbar nicht von ihren Schüler:innen: Lernende fragen immer, welche Prüfung am Ende auf sie wartet, und richten ihre Lernaktivitäten entsprechend zweckorientiert aus. Auch Seminarleitungen, die eine fehlerfreundliche und experimentierfreudige Lernkultur gestalten wollen, sehen sich daher ständig mit der unausgesprochenen Frage der Referendar:innen konfrontiert, inwieweit die Lerninhalte für die finale Prüfung verwertbar sind.

Seit Beginn des Referendariats schwebt also die Examensprüfung wie ein Damoklesschwert über uns Referendar:innen.

Seit Beginn des Referendariats schwebt also die Examensprüfung wie ein Damoklesschwert über uns Referendar:innen und führt dazu, dass viele die kollegialen Hospitationen als Zwang erleben und in kollegialen Reflexionen das Gefühl haben, ihre fachlichen und pädagogischen Kompetenzen verteidigen zu müssen. Das ist absurd, wenn man sich vor Augen hält, dass Referendar:innen noch ganz am Anfang ihrer Professionalisierung stehen und auf systematischen Austausch und Reflexion angewiesen sind.

Wenn Hospitationen von den meisten als Leistungsüberprüfungen wahrgenommen werden, ist es aber auch nicht verwunderlich, dass viele sich wünschen, nach dem Referendariat die Türen zu schließen. Wir können diesen Wunsch verstehen – und teilen ihn trotzdem nicht.

Hospitationen als Chance, wertvolles Feedback zu bekommen

Unsere ersten Unterrichtsbesuche und das anschließende Feedback unserer Fachseminarleitungen haben uns in unserer Person sehr berührt, obwohl uns stets versichert wurde, dass sich das Feedback ausschließlich auf unser Handeln als Lehrer:innen und nicht auf unsere Person bezog.

Zu Beginn unserer Unterrichtstätigkeit hatten wir aber schlichtweg noch keine professionelle Rolle eingenommen, sodass wir die Kritik vor allem als Kritik an unserer Person empfunden haben. Das hat bei uns zu Selbstzweifeln geführt und Sinnkrisen ausgelöst: Kann ich das? Bin ich dem gewachsen? Werde ich das jemals gut machen können?

Mittlerweile sehen wir in diesen Zweifeln einen normalen Bestandteil der Professionalisierungskrise, die wahrscheinlich die Mehrheit der Referendar:innen erlebt. Wir wünschen uns, dass diese Krisen aber von den Referendar:innen als Motor auf dem Weg zur Professionalisierung angesehen werden. Und wir hoffen, dass sie sich diesen Krisen stellen –und, mehr noch: dass sie sie suchen.

Herausforderungen leichter gemeinsam meistern

Dass an den meisten Schulen noch kein Raum für gemeinsame Reflexion und kollegiale Hospitation vorgesehen ist, ist natürlich ein Hemmnis. Aber es ist nicht das einzige. Denn auch wenn diese Räume systematisch eingerichtet werden würden, träfen sie in den meisten Kollegien auf eine Haltung der Skepsis, der Angst und der geschlossenen Türen.

Wir denken: Es sollte genau umgekehrt sein: Zu einer professionellen pädagogischen Haltung gehört es, die Türen zu öffnen! Denn kollegiale Hospitationen bieten die Chance, wertvolles Feedback zu geben und zu empfangen, zu erkennen, dass die Kolleg:innen mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind und dass sich diese Herausforderungen gemeinsam meistern lassen. Nicht zuletzt helfen kollegiale Hospitationen, zu verstehen, dass „mein Unterricht“ und „dein Unterricht“ nicht zwei voneinander unabhängige Ereignisse sind, sondern dass sie in einer gemeinsamen Schule stattfinden und wir für und mit unseren Schüler:innen viel mehr erreichen können, wenn wir es wagen, über das, was du und ich für richtig halten, zu streiten und zu einer gemeinsamen professionellen Haltung zu finden.

Zur Person

Sophie Krüger
Sophie Krüger
  • Sophie Krüger absolviert gegenwärtig ihr Referendariat mit den Fächern Englisch und Deutsch an einer Oberschule im Land Brandenburg.
  • Seit 2017 engagiert sie sich in verschiedenen Arbeitsgruppen beim gemeinnützigen Verein Kreidestaub und hat unter anderem zwei Lernreisen sowie Projektseminare zu pädagogischer Haltung und zur Schulentwicklung angeleitet.
Anna van Meegen
©privat
  • Anna van Meegen hat gerade ihr Referendariat mit den Fächern Wirtschaft und Mathematik an einem Oberstufenzentrum in Berlin abgeschlossen.
  • Bei Kreidestaub hat sie zunächst das Podcast-Projekt „Bildungsnotiz“ ins Leben gerufen und dann Seminarformate für Lehramtsstudierende mitentwickelt und umgesetzt. Beim Projekt „Prinzip Lernreise“ hat sie Gruppenleitungen für die Begleitung von Lernreisen ausgebildet.

Kreidestaub e. V. ist eine deutschlandweite studentische Initiative. Ihr Ziel ist die Verbesserung der Lehrkräftebildung. Seit 2013 vernetzt sie junge Menschen, die den Anspruch haben, gute Schule zu machen. Sie entwickelt und initiiert vor allem praktisch orientierte Projekte, durch die die Lehrkräftebildung wirkungsvoll ergänzt werden kann.