Steuergruppen : Kontrolliertes Chaos beflügelt die Schulentwicklung
Starre Gremien sind bei der Schulentwicklung oft hinderlich, meint Kolumnist Matthias Förtsch. Menschen mit Energien für ein bestimmtes Thema würden in ihnen nicht zum Zuge kommen. Förtsch plädiert deshalb dafür, die jeweiligen Energien in flexiblen Strukturen zu bündeln.
„Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man `nen Arbeitskreis!“ Wer kennt ihn nicht, diesen Aphorismus. Schließlich sind Arbeitskreise an Schulen sehr beliebt, insbesondere um (pädagogische) Konzepte zu entwickeln. Sie können ja durchaus sinnvoll sein, denn in solchen Gruppen denken immerhin mehrere Menschen zusammen, die sich bestenfalls regelmäßig treffen und ein Thema sehr gründlich bearbeiten.
Das Problem ist jedoch, dass oft auch die Steuergruppe einer Schule – manchmal auch Schulentwicklungsteam genannt – nach dem Prinzip „Arbeitskreis“ arbeitet. Und dann stellt sich natürlich die Frage, was eigentlich von dieser Steuergruppe „gesteuert“ wird. Welche Themen stehen hier im Mittelpunkt? Welche Schulentwicklungsprozesse sollen vorangetrieben werden? Und warum sollen genau diese Menschen in der Steuergruppe die Themen bestimmen oder bearbeiten?
Themen in der Schulentwicklung können schnell wechseln
Nun könnte man sagen, dass sich diese Kolleginnen und Kollegen ja schließlich haben wählen lassen, dass sie also das nötige Interesse, die Kompetenz und auch die Energie für die anstehenden Entwicklungsprozesse und Themen mitbringen. Aber das ist alles andere als gesichert. Ein fiktives Beispiel: Im letzten Jahr war die Steuergruppe dafür verantwortlich, ein Raumnutzungskonzept für den neuen Schulanbau zu erstellen. Für dieses Thema brannten die Menschen in der Steuergruppe. Gleichzeitig stellte sich aber heraus, dass die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler in frei zu gestaltenden Lernzeiten überschätzt wurde und man das Modell nun im aktuellen Schuljahr überdenken muss.
Energien der am Schulleben Beteiligten nutzen
Einige Mitglieder fühlen sich nun auf einmal gar nicht mehr kompetent, und das Thema interessiert sie auch nicht. Zudem gibt es Menschen mit Energie im Kollegium – oder auch unter den Schülerinnen und Schülern oder den Eltern –, die sich hier gerne einbringen würden; vielleicht, weil bei ihnen die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler schon immer einen hohen Stellenwert hatte, vielleicht, weil gerade das Gegenteil der Fall ist und sie die Überforderung sehen. Es gibt also Menschen mit Energie für den Entwicklungsprozess, die bei einer statisch angelegten Steuergruppe nicht zum Zug kämen, in dieser sogar frustriert wären.
Die Steuergruppe nicht als Gremium sehen, sondern als Denkfabrik
Es lohnt also, Steuergruppen dynamisch beziehungsweise agil zu denken. Ein Instrument hierfür kann sein, eine derartige Gruppe nicht als Gremium mit Entscheidungsgewalt zu sehen, sondern als eine Art interne Denkfabrik der Schule, die je nach Dringlichkeit unterschiedlich oft tagt, die offen für die Beteiligung aller ist, die auch mal in Klausur geht, wenn eine Frage gründlicher durchdacht werden muss, die aber immer aus Menschen mit Energie für das jeweilige Thema besteht. Am Ende könnte dann eine Vorlage stehen, über die dann tatsächlich in offiziellen Gremien (Lehrerkonferenz, Schulkonferenz etc.) abgestimmt werden müsste.
Kontrolliertes Chaos bei der Beteiligung führt zu besseren Ergebnissen
Man könnte diesen dynamischen oder agilen Steuergruppen ein gewisses Chaos vorwerfen, weil die entscheidenden Prozesse bis zur Beschlussvorlage außerhalb der Gremien stattfinden. Allerdings kann ein kontrolliertes Chaos durch flexible Strukturen zu deutlich besseren Ergebnissen führen. Die Zustimmung der Gremien ist bei solchen Beteiligungsmöglichkeiten im Vorfeld oft nur eine Formsache. Sie beschließen dann noch formell, aber es passiert nichts Überraschendes mehr, die Energie ist im Prozess aufgegangen.
Klausur zur Schulentwicklung als Kick-off
Ein Beispiel zum Schluss: Wir haben die Grundlagen unserer pädagogischen Konzeption zum Projekt „Zeitgemäß Lernen“ unter anderem bei einer offen tagenden Schulentwicklungsklausur gemeinsam mit Eltern, Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern, insgesamt 22 Personen, erarbeitet. Alle Beteiligten engagierten sich freiwillig an einem Freitag und Samstag in einer externen Tagungsstätte für die Schule – sie hatten das Gefühl, ihre Energie hier gut einbringen zu können. Das Entscheidende hierbei: Es handelte sich nur zum Teil um gewählte Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen Gruppen, zum Teil aber auch um Interessierte oder sogar Skeptiker des Prozesses. Alle Menschen, die dabei waren, unterstützen das Projekt in seiner jetzigen Form weiterhin intensiv und tragen die guten Gedanken in die jeweilige Gruppe. Lehrerinnen und Lehrer überzeugen das Kollegium, Eltern überzeugen Eltern, Schülerinnen und Schüler überzeugen sich gegenseitig. Die Konzeption „Zeitgemäß Lernen“ ist die Grundlage, um die Schule auf das Lernen in der digitalisierten Welt neu auszurichten.
Zur Person
- Matthias Förtsch ist Lehrer für Englisch und Gemeinschaftskunde (Politik, Wirtschaft und Soziologie) an einem privaten, gebundenen Ganztagsgymnasium in Baden-Württemberg.
- Zusätzlich ist er hauptverantwortlich für die Schulentwicklung an seiner Schule.
- Die Zukunft der Schule interessiert ihn so sehr, dass er darüber auch twittert und regelmäßig in seinem Blog berichtet.
- Für Das Deutsche Schulportal schreibt Matthias Förtsch regelmäßig eine Kolumne.