Kolumne

Schülerpraktikum : Jugendliche brauchen Netzwerke

Einen Praktikumsplatz für Schülerinnen und Schüler zu bekommen ist nicht leicht, es sei denn, die Kids können auf die gut etablierten Netzwerke der Eltern zurückgreifen. Während die Schulen darum kämpfen, allen Kindern die gleichen Bildungschancen zu bieten, spielt das offenbar bei den ersten Schritten in die Berufswelt keine Rolle mehr. „Muss das so sein?“, fragt Ulrike Ammermann, Kolumnistin und Lehrerin an einer Hamburger Stadtteilschule.

Ulrike Ammermann
Eine Praktikumsplatz in einer Arztpraxis, einer Anwaltskanzlei oder einer Rundfunkredaktion ist für Jugendliche ohne elterliche Beziehungen kaum erreichbar.
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Zwischen der 8. und der 11. Klasse machen Schülerinnen und Schüler in der Regel Praktika in Betrieben. Es ist ihr erster Kontakt mit der Berufswelt. Die Teenager bekommen einen Eindruck davon, wie Erwachsene miteinander umgehen. Sie sehen, mit welchen Tätigkeiten und Aufgaben Leute Geld verdienen. Und sie machen sich zum ersten Mal Gedanken, wie sie ihr eigenes Leben gestalten wollen, wenn sie nicht mehr zur Schule „müssen“.

Jetzt ist es auch zum ersten Mal für sie wichtig, sich mit fremden Menschen zu vernetzen. Wie sonst soll man einen Praktikumsplatz bekommen? Natürlich lernen Kinder in ihren ersten Lebensjahren dauernd neue Leute kennen, aber das passiert automatisch nach dem Freunde-von-Freunden-Prinzip. Freunde und Verwandte der Eltern sind automatisch auch die des Kindes. Später kommen die Kinder dazu, die sie in der Kita und der Schule treffen. Auch das passiert, ohne dass sie sich groß Gedanken über das Angebot an potenziellen Freunden machen würden.

Spätestens mit 14 Jahren aber kommt es auf die zukünftigen Erwachsenen selbst an. Sie müssen sich selbst um ein Praktikum kümmern.

Halt! Wirklich?

Für mich war es damals leicht, eine Zusage für mein erstes Schülerpraktikum zu bekommen. Wir haben einfach Frau Braun gefragt, die Geschäftsführerin der Buchhandlung mit Schreibwarenabteilung, bei der meine Eltern alle ihre privaten Bücher kauften und das Ingenieurbüro meines Vaters sämtlichen Bürobedarf. Zack, fertig. Kein langer Telefon-Marathon nötig, nicht mal eine schriftliche Bewerbung. Allzu lange überlegt, ob ich ein Praktikum in der Buchhandlung machen sollte, habe ich nicht. Es sollte was mit Büchern sein, auf keinen Fall zu viel Mathe enthalten. Hinterher wusste ich dann, dass „was mit Büchern“ eine deutlich zu vage Anforderung an das Leben ist. „Was mit Büchern“ macht man auch, wenn man sie abstaubt, und das ist gar nicht mal so unterhaltsam. Immerhin hat mir das Praktikum die Erkenntnis gebracht, was ich beruflich nicht machen möchte. Und das ist gar nicht mal so wenig für einen ersten Versuch.

Die ersten Hürden: Telefonate und schriftliche Bewerbungen

Heute ist es, vorsichtig formuliert, etwas schwieriger. Selbst für einen Schülerpraktikumsplatz müssen Motivationsschreiben und Lebensläufe verfasst werden. Vorher müssen die Teenager herausfinden, welche Berufe sie interessieren könnten.

Gedanklich müssen sich die Vierzehnjährigen dabei von der Idee verabschieden, Supermodel, Fußballprofi oder TikTok-Star werden zu wollen. Und der Weg von der schrillen Internet-Welt zu den motivierenden Flyern der Bundesagentur für Arbeit ist gar nicht so einfach. Aber nützt ja nix – die meisten meiner Achtklässlerinnen und Achtklässler erkennen den Unterschied zwischen der großen Traumwelt und der Realität.

Diese Realität zieht als Erstes in Form der betont fröhlichen Dame von der Arbeitsagentur in unser Klassenzimmer ein. Am Smartboard führt sie die Kids anhand verschiedener Fragen zu möglichst passenden Berufsbildern. Der Erfolg ihrer Bemühungen ist nicht allzu berauschend. Zu sehr verirren sich die angepriesenen Berufsbilder im Behördensprech zwischen Ausbildungsverordnungen und Bestimmungen zur Arbeitssicherheit. Zu wenig können die Teenager sich vorstellen, was Fußballtraining nachmittags im Verein – „Das ist doch dein Hobby, nicht wahr? Dann wäre Fitnesscoach vielleicht was für dich.“ – mit ihrem zukünftigen Berufsleben zu tun haben soll. Vor allem aber: Wie sollen sie bloß jemanden fragen, ob sie dort ein Praktikum machen können? Das ist doch peinlich!

Die ersten Telefonate haben wir ausführlich vorbereitet. Wer sich unsicher fühlte, konnte sich alles aufschreiben, was sie oder er sagen wollte. Bei einigen habe ich während des Gesprächs ermutigend daneben gesessen. Mit der Zeit sind alle, auch die Schüchternen, selbstsicherer geworden. Telefonate, um zu fragen, ob der Betrieb ein Praktikum anbietet und an wen sie die Bewerbung richten dürfen – das machen sie jetzt mit links. Anders ginge es auch gar nicht, denn es sind wirklich viele solcher Gespräche zu führen. Auch schriftliche Bewerbungen mit korrekter Anrede und Datum sind inzwischen kein Problem mehr. Die richtige Balance zwischen Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung zu treffen schon eher. Häufig führe ich Gespräche, die so anfangen: „Linus*, es ist toll, dass du dich für Autos interessierst – aber dass du ,alles über Autos weißt‘, solltest du vielleicht trotzdem nicht behaupten.“

Fachkräftemangel oder die Frage: Warum ist es bloß so schwer?

In vielen Branchen haben wir in Deutschland Fachkräftemangel. Warum ist es trotzdem so schwer, ein Praktikum zu bekommen? Meine Schülerinnen und Schüler telefonieren und schreiben Bewerbungen im Wochentakt. Trotzdem haben etliche aus der Klasse noch keinen Platz gefunden.

War das schon immer so? Bei mir selbst war es damals einfacher. An meiner vorherigen Schule, einem Gymnasium in den feinen Hamburger Elbvororten, war es übrigens auch nicht so ein Langstreckenlauf bis zur begehrten Zusage. Meine Schülerinnen und Schüler dort waren in vielem gar nicht so anders als die Teenager, die ich jetzt in meiner Klasse habe. Auch im Hamburger Westen war Lucy ziemlich nervös bei der Vorstellung, sich ihrer ersten Chefin vorstellen zu müssen, und Paul, der sonst so selbstsicher durch die Schule latschte, wirkte auf einmal wie ein kleiner Junge, als er in der Kanzlei anrufen sollte, um abzusprechen, wann er am ersten Tag des Praktikums dort sein sollte.

Aber es gab einen großen Unterschied zu den Kids, die ich heute an der Stadtteilschule im Vorort unterrichte. Das Wort „Kanzlei“ lässt es vielleicht schon erahnen. Paul hatte einen Praktikumsplatz in einer edel ausgestatteten Anwaltssozietät in der Innenstadt über einen Freund seines Vaters bekommen, Lucy durfte bei einer Werbeagentur im Zentrum Berufsluft schnuppern, während ihre Freundin Lena ein Praktikum beim Norddeutschen Rundfunk machte. Andere Jungs aus der Klasse waren bei Airbus und Mercedes untergekommen, eine besonders begabte Schülerin durfte beim Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY im Labor zuschauen.

Meine jetzigen Schülerinnen und Schüler leben mit ihren Eltern nicht in frei stehenden Häusern entlang der Elbe, sondern zu fünft in Drei-Zimmer-Küche-Bad-Balkon. Ihre Eltern sind höchstens im Vorstand des örtlichen Turnvereins, aber nicht irgendeiner Holding. Das hat unter anderem zur Folge, dass ihre Praktikumswünsche mittlerweile etwas zusammengeschrumpft sind. Es geht eher um Supermärkte, Drogerien und Baumärkte. Maria aus meiner Klasse wollte ihr Praktikum zum Beispiel auch sehr gerne in einer Anwaltskanzlei machen, ihre Eltern konnten ihr aber leider nicht mit Vitamin B weiterhelfen. Sie hatte zig Kanzleien abtelefoniert, die alle leider keine Schülerpraktikanten nehmen. Auch Katja, die erst vor einem guten Jahr mit ihrer Familie aus der Ukraine nach Hamburg gekommen ist, macht sich keine Hoffnungen mehr auf erste Erfahrungen in einem Architekturbüro.

Teilweise springe nun ich in die Bresche: Diejenigen, die sich besonders engagiert um einen Platz bemüht haben, unterstütze ich mit meinen eigenen Kontakten. Nur leider habe ich nicht genügend private Freunde, um die Netzwerke aller Eltern zu ersetzen. Außerdem stellt sich mir immer dringender die Frage, ob das so sein muss. Wir machen an unseren Schulen allen Kindern und Jugendlichen einigermaßen erfolgreich dasselbe Bildungsangebot. Öffentliche Schulen sind in allen Stadtteilen gleich gut ausgestattet. Lehrkräfte haben vergleichbare Bildungswege durchlaufen. Auch an Stadtteilschulen in ärmeren Stadtteilen machen intelligente Kinder das Abitur. Das ist auch gut so, denn wir werden in Zukunft alle klugen Köpfe und alle tatkräftigen Hände brauchen können. Nur werden wir sie nicht bekommen, wenn ausschließlich die Kids aus den sogenannten besseren Stadtteilen über die Netzwerke der Eltern ihren Weg in die Berufswelt finden.

Wir sollten also darüber nachdenken, wie wir Netzwerke für alle Jugendlichen schaffen!

* Namen der Schülerinnen und Schüler geändert.

Zur Person

  • Ulrike Ammermann ist Journalistin und Lehrerin.
  • In Münster und Lyon hat sie Germanistik und Geschichte studiert. Nach ihrem Volontariat beim Deutschen Fachverlag arbeitete sie viele Jahre lang für die internationale Reisepresse. Außerdem ist sie Autorin mehrerer Reisebücher, von Reportagen und Berichten für verschiedene Magazine.
  • Wenn sie gerade nicht an Texten arbeitet, begleitet sie an einer Hamburger Stadtteilschule Jugendliche beim Erlernen der französischen Sprache. Außerdem unterrichtet sie die Fächer Geschichte, Deutsch und PGW (Politik, Gesellschaft, Wirtschaft).
  • Sie lebt mit Mann und Kind in Hamburg.