Kolumne

Schreiben lernen : Handschrift ist mühsam – und das ist gut so!

Eine gute, flüssige Handschrift zu erlernen ist keine Bestrafung, schreibt Sabine Czerny in ihrer neuen Schulportal-Kolumne. Die Grundschullehrerin warnt davor, den Kindern diese Anstrengung abzunehmen. Verloren geht dabei viel mehr als die Schulung der Feinmotorik.

Sabine Czerny
Ein Mädchen übt Schreibschrift
Ist das Erlernen einer schönen und flüssigen Handschrift noch zeitgemäß? Auf jeden Fall, meint Kolumnistin Sabine Czerny.
© Jan Woitas (dpa)

Geschrieben worden ist schon viel, ob das Erlernen der Handschrift noch zeitgemäß ist oder ob dies nicht sinnvollerweise ersetzt werden sollte durch das Erlernen des Zehn-Finger-Tipp-Systems oder auch nur durch ein Wie-viel-Finger-auch-immer-Suchsystem für die Computertastatur.

Mir geht es hier nicht um den wissenschaftlichen Hintergrund, welche Vorteile, ja welche Notwendigkeit im Erlernen der Handschrift liegt – angefangen bei der Schulung der Feinmotorik, der Schulung der Raum-Lage-Koordination über die Aktivierung der vielfältigsten Gehirnareale bis hin zu verbesserter Merk- und Denkfähigkeit, gesteigertem Aufnahmevermögen und klarer Bewusstheit sowie erhöhter Aufmerksamkeit und grundsätzlicher Struktur. Mich wundert an sich, dass diese Diskussion immer noch stattfindet – zu evident ist doch das, was verloren ginge!

Nein – was verloren geht … Denn eine gute, flüssige Handschrift wird ja in den Schulen schon nicht mehr wirklich gelernt. Das hat viele Gründe.  Der Hauptgrund ist wohl wieder mal die fehlende Zeit. Schreibenlernen muss schnell gehen, weil die Kinder ja mittlerweile an sich schon in der ersten und zweiten Klasse die gesamte Rechtschreibung lernen und auch alle möglichen Textarten verfassen sollen.

Dazu kommt, dass die Kinder sich das Schreiben teilweise mit Selbstlernheften beibringen und dabei teils wenig auf den dort angezeigten Bewegungsablauf achten. Das hängt auch damit zusammen, dass sie die Buchstaben vorher, zum Beispiel im Kindergarten, schon „irgendwie“ abgepinselt haben und es anstrengend ist, umzulernen.

Eltern halten Schreibübungen oft für überflüssig oder gar für eine Bestrafung

Dabei ist die richtige Stifthaltung und der korrekte Bewegungsablauf wichtig, um überhaupt jemals wirklich flüssig schreiben zu können. Aber selbst wenn Lehrerinnen und Lehrer da hinterher sind oder das gar gezielt unterrichten… Kindern fehlt zunehmend diese Fähigkeit, eine Anweisung vom Lehrer aufzunehmen und umzusetzen. Auch Eltern sind ob der zunehmenden Anforderungen von Schule sehr schnell damit zufrieden, wenn man einen Buchstaben halbwegs erkennt. Viele halten zudem Schreibübungen für überflüssig, wenn nicht gar für eine Bestrafung des Kindes: Die seien so mühsam, und dem Kind tue schon nach einer Zeile die Hand weh.

Ja, so ist das, wenn man übt. Und dieses Problem haben wir in vielen Bereichen. Schuhe zu binden ist mühsamer, als Klettverschlüsse zu schließen; das leckere Bio-Obst, das die EU wöchentlich zur Verfügung stellt, mögen die Kinder nur, wenn es geschält und geschnitten wird; zum Schlittenfahren gehen die Kinder nicht mehr gerne, weil es zu anstrengend ist, den Schlitten den Berg hochzuziehen. Kein Witz!

Und nein, das war vor einigen Jahren noch nicht so. Ich bin nun seit über zwei Jahrzehnten Lehrerin. Hausaufgaben ziehen sich bis ins Endlose – nicht, weil es an sich zu viel Arbeit ist, sondern weil Kinder keinerlei Konzentration und Kondition mehr haben. Früher schrieben sie eine Zeile locker in drei bis fünf Minuten, heute benötigen sie teilweise bis zu 20 Minuten und länger, und trotzdem tut ihnen die Hand weh.

Handschrift eignet sich hervorragend, um Anstrengungsbereitschaft aufzubauen

Für mich gibt es daher – neben den anfangs aufgeführten – zwei ganz wichtige Gründe für den Erwerb der Handschrift:
Zum einen müssen wir unbedingt wieder eine Grundkondition aufbauen, sowohl körperlich als auch in der Anstrengungsbereitschaft. Und das betrifft nicht nur die Hände und die Feinmotorik unserer Kinder. Aber eben auch! Die Handschrift eignet sich hervorragend dafür – insbesondere dann, wenn neben einem gewissen Umfang auch Wert auf die Genauigkeit gelegt wird. Gerade diese Genauigkeit, Genauigkeit im richtigen Bewegungsablauf, Genauigkeit in formschönem Schreiben in die Lineatur, Genauigkeit in der korrekten Schreibweise – und der Erwerb einer flüssigen Schreibweise sind Voraussetzung für den Wert, den, zum anderen, der zweite Grund darstellt: Erfolg.

Beim Lernen der Handschrift liegen Einsatz und Ergebnis dicht beieinander

Mit nichts anderem können die Kinder aus eigener Kraft, mit eigener Anstrengung so viel für sich selbst spürbaren Erfolg erarbeiten. Auf keinem anderen Gebiet liegen Einsatz und Ergebnis so nah beieinander und fördern auf diese Weise Selbstwirksamkeit und Anstrengungsbereitschaft. Keine andere Aufgabe ist so geeignet dafür, immer wieder zu erfahren, dass Üben mühsam sein kann und Aufmerksamkeit erfordert, dann aber auf einmal ganz leicht von der Hand gehen kann.

Und genau diese Erfahrungen brauchen unsere Kinder. Wenn wir unseren Kindern immer nur alles vereinfachen, enthalten wir ihnen genau diese Möglichkeit vor, zu wachsen, sich zu entwickeln, stark und fähig zu werden, an sich selbst zu glauben, sich Herausforderungen zu stellen, durchzuhalten, nicht aufzuhören, bevor es wirklich richtig und gut ist – auch wenn das manchmal mühsam und anstrengend ist.

Der mühsam errungene Erfolg bei der Handschrift lässt Kinder strahlen

Während ich dies schreibe, habe ich die ganze Zeit ein sechsjähriges rumänisches Mädchen vor Augen. Bis dato sprach sie nur wenige Worte Deutsch, hatte wohl so gut wie nie Förderung genossen, konnte den Stift nicht richtig halten, nicht mal einen geraden Strich ziehen, geschweige denn ihren Namen auch nur ansatzweise erkennbar abschreiben.

Aber sie bemühte sich. Mit jedem Strich, mit jeder Schleife, mit jeder gekrümmten Linie. Dann schaute sie mich immer mit ihren großen Augen an und fragte: „Gt?“ Und meinte damit: „Gut?“

Wie oft zeigte ich ihr den Bogen linksrum – und sie machte ihn rechtsrum. Immer wieder, immer wieder. Und dann auf einmal … Auf einmal gelang ihr der Bogen in die andere Richtung. Sie strahlte, ich strahlte, und sie strahlte noch mehr. Und aus lauter Freude schrieb sie den Buchstaben gleich noch gefühlte siebentausend Mal und strahlte immer wieder zu mir rüber.

Gut, ein sehr spezielles Beispiel – dennoch wird gerade hier sehr deutlich spürbar, was ein aus eigener Kraft und teils mühsam errungener Erfolg mit einem Kind macht. Und es geht an sich allen Erstklässlern und Schreibanfängern so. Was mühen sie sich ab, um einen Buchstaben so zu schreiben, wie man ihn vorgibt?! Und wie groß ist die Freude, was für ein Strahlen in den Gesichtern, wenn man ihnen sagen kann, dass es jetzt richtig ist?! Und welche Freude, wenn sie merken, dass sie zunehmend schneller schreiben können und ihnen alles flüssig von der Hand geht.

Alles, was selbst errungen worden ist, mit dem eigenen Körper aus eigener Kraft, aus eigener Anstrengung geschafft wurde, ist so viel mehr wert, bringt so viel mehr innere Zufriedenheit! Letztlich ist es dies, was unsere Kinder nährt. Und wirklich nichts eignet sich dafür – gerade ob der vielen Buchstaben und des damit großen Erfahrungs- und Übungsfeldes – mehr, als das Erlernen der eigenen Handschrift.

Zur Person

  • Sabine Czerny ist seit über 20 Jahren Lehrerin und unter­richtet in einer Grund­­schule im Groß­­raum München eine zweite Klasse in allen Fächern. Zusätzlich gibt sie Fach­­unter­­richt in anderen Klassen, auch in der Mittel­schule.
  • Vor gut einem Jahr­zehnt machte Sabine Czerny bundes­weit Schlag­­zeilen: Weil ihre Schüler­­innen und Schüler zu viele gute Noten erzielten, wurde sie straf­­versetzt.
  • 2009 wurde sie mit einem Preis für Zivil­­courage, dem Karl-Steinbauer-Zeichen, aus­gezeichnet. Ein Jahr später erschien ihr Buch „Was wir unseren Kindern in der Schule antun … und wie wir das ändern können“.
  • Für Das Deutsche Schulportal schreibt Sabine Czerny eine Kolumne.