Kolumne

Mitwirkung : Elternsprecherwahl – das „Highlight“ jedes Elternabends

Zu Beginn eines jeden Schuljahres ist vieles neu: Stundenplan, Laufzettel für den Schreibwarenladen, manchmal auch Lehrkräfte und Fächer. Auf eines aber ist Verlass: Es gibt garantiert immer einen Elternabend. Warum diese Frühabendveranstaltungen gleichzeitig wichtig und nervig sind, weiß unser Kolumnist Fabian Soethof aus eigener Erfahrung.

Fabian Soethof
Elternabend eine Frau meldet sich
Aufatmen beim Elternabend - nach einer gefühlten Ewigkeit geht bei der Elternsprecherwahl endlich eine Hand nach oben.
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Eltern schulpflichtiger Kinder werden bei dem folgenden Satz so müde wie ratlos nicken: Sobald die Lütten in die erste Klasse gehen, mutieren sie zu einem Brief mit sieben Siegeln. Mama und Papa erfahren auch auf Nachfrage nichts darüber, was ihre Tochter oder ihr Sohn zwischen 8 und 16 Uhr (bei einer Ganztagsbetreuung) er- und durchlebt hat. Das Bermudadreieck ist ein Witz gegen diesen mysteriösen Informationsverlust.

„Wie war es heute in der Schule?“ – „Gut.“

„Was gab es in der Mensa?“ – „Weiß nicht mehr.“ oder „Nudeln.“

„Was habt Ihr denn heute im Sportunterricht getrieben?“ – „Vergessen.“

„Und in Lebenskunde?“ – „Straßenregeln.“

Zack, aufgepasst: Bei jedem konkreteren Stichwort gilt es anzubeißen und nachzufragen! Meist vergeblich, versteht sich.

Elternabend als Informationsquelle

Dieser gefühlte Datenverlust ohne Passwort für die Back-up-Festplatte erscheint im ersten Schuljahr besonders verheerend. In der Kita konnte man beim täglichen Bringen und Abholen die Erzieherin oder den Erzieher noch mal kurz fragen, wie es denn gerade „so läuft“, was es mit dem berichteten Streit am Vortag auf sich hatte, wo die vermisste Regenjacke ist oder ob es diese Woche wirklich drei Tage hintereinander das gleiche Mittagessen gab.

In der Schule läuft das anders. Die Klassenlehrerin oder den -lehrer bekommen Elternteile im Alltag nicht zu Gesicht, der Informationsfluss ist einseitiger und fokussiert sich auf Mail-Erinnerungen, Rückfragen freilich erlaubt: „Morgen ist Kuscheltiertag!“, „In zwei Wochen schreiben wir den ersten Mathetest!“, „Am Freitag machen wir einen Ausflug in den Wald!“ Aber zum Ausgleich für diese vergleichsweise Anonymität existieren ja bekanntlich die berühmt-berüchtigten Elternabende.

Für Ersti-Eltern sind diese meist auf eine Stunde angesetzten und tatsächlich zweieinhalb Stunden dauernden Frühabend-Events noch echte Highlights, weil ja alles neu und anders ist.

In der Regel finden Elternabende in den ersten Wochen des jeweils neuen Schuljahres statt. Die Lehrer:innen lernen so die Mamas und/oder Papas ihrer Schüler:innen kennen und umgekehrt, die Eltern sich auch untereinander: „Ach, du bist die Mama von Karlchen? Unsere Milli will sich gerne mal mit ihm verabreden!“ Vor allen Dingen aber handelt es sich bei Elternabenden um Informationsveranstaltungen über grundsätzliche Abläufe und Pläne in den kommenden Monaten. Für Ersti-Eltern sind diese meist auf eine Stunde angesetzten und tatsächlich zweieinhalb Stunden dauernden Frühabend-Events noch echte Highlights, weil ja alles neu und anders ist.

Angstschweiß auf der Stirn

Für Eltern von Drittklässlerinnen und Drittklässlern, zumal in JüL-Klassen – also jahrgangsübergreifenden Lerngruppen – wie bei unserem großen Sohn hält sich der News-Wert, bei allem Respekt, in Grenzen: Das Personal stellt sich und die TOPs vor, die Eltern sich selbst und ihre Kinder. Danach geht es beim Elternabend um Hausschuhe, angespitzte Bleistifte, Pausenzeiten, Klassenfahrten und deren Finanzierung, Schulessen und so weiter. Wichtige Themen, keine Frage. Ich zum Beispiel war dieses Jahr aber zugegebenermaßen auch vor Ort, um vor Ort und nachweislich interessiert gewesen zu sein – und um das alljährliche High- und Lowlight eines jeden Elternabends zu erleben: Elternsprecherwahl!

Plötzlich schauen alle Anwesenden mutmaßlich genauso verstohlen ins Leere wie ihre Kinder, wenn sie die Hausaufgaben nicht gemacht haben.

Diese Wahl verläuft so exemplarisch wie unspektakulär wie wohl in jeder anderen Schule auch: Die Lehrer:innen verziehen sich und überlassen uns Eltern das Feld. Die aktuellen Amtsinhaber:innen berichten von ihren Aufgaben. So, Freiwillige vor – und plötzlich schauen alle Anwesenden mutmaßlich genauso verstohlen ins Leere wie ihre Kinder, wenn sie die Hausaufgaben nicht gemacht haben. Wegducken wie im Schützengraben. „Hoffentlich spricht mich niemand an“, steht ihnen auf die nasskalten Stirnen geschrieben, bis sich entweder die bisherigen Elternsprecher:innen zur Wiederwahl oder ein ambitionierter Ersti-Elternteil breitschlagen und einstimmig wählen lässt.

Bei uns lief zumindest der Teil besonders lustig ab: Ein mit seiner Familie neu in den Kiez gezogener Vater beteuerte, dass seine heute Abend leider nicht anwesende Frau großes Interesse an diesem Amt habe, um sich zu vernetzen. Großes Gelächter sowie Aufatmen bei den Anwesenden: Zehn Minuten später hatte sie den Job. Ich meinerseits hatte zuvor abgewinkt, als ein anderer Vater vorschlug, dass doch noch ein Dritti-Elternteil als Stellvertretung sinnvoll wäre. Aber hey, ich habe das doch im Kindergarten schon durchgespielt!

Und auf einmal wird man gewählt

Dass Elternabende für Ersti-Eltern oft bedeutsamer sind, wissen wir nicht nur aus eigener Erinnerung, sondern auch aus aktueller Erfahrung: Unser Zweitgeborener wurde dieses Jahr eingeschult. „Seinen“ Elternabend besuchte meine Frau, und sie kam nicht nur mit so einigen wirklich neuen Infos nach Hause, die uns noch nicht per Ranzenpost erreicht hatten. Sondern auch mit einem – Trommelwirbel – neuen Amt.

Schon während des Elternabends schrieb sie mir: „Stellvertreterin. Für mehr reichen Energie und Zeit nicht.“ Hätte sie am liebsten ausgelacht, habe stattdessen natürlich zu Recht ihr Engagement gelobt und mich über ihre Powerreserven gewundert. Was tut man nicht alles zum Wohl der Kleinen – und um Informationen aus ihrem Alltag und dem System, in dem sie lernen sollen, nicht erst beiläufig im Folgequartal zu erfahren.

Abgleich von Fremd- und Eigenwahrnehmung

Über individuelle Freuden und Sorgen, die das eigene Kind betreffen, wird in großer Runde freilich nicht gesprochen. Dafür werden Elterngespräche angeboten. In denen wundern sich Eltern regelmäßig darüber, dass ihr Kind in der Schule offenbar ein anderes ist als zu Hause. „Er hört? Er räumt auf? Er rechnet gerne? Sie müssen uns verwechseln!“ Es ist ein Abgleich von Fremd- und Eigenwahrnehmung, ein Hervorheben der Stärken und Interessen des Kindes und ein freundliches Pochen darauf, dass diese so individuell wie möglich gefördert werden. Und damit eine Miniform des Elternabends, die aber im Zweifel so lange die wichtigere der beiden Veranstaltungen bleibt, wie die Kinder nicht selbst ausführlich und in Ruhe von ihrem jeweiligen Schultag berichten. Also bis zu ihrem Abschluss, eines fernen Tages.

 

Zur Person

Fabian Soethof
Fabian Soethof
©Hella Wittenberg
  • Fabian Soethof ist Journalist und Redakteur. Seit 2016 leitet er die Online-Redaktion des „Musikexpress“, seit Ende 2017 in Teilzeit.
  • Er bloggt unter newkidandtheblog.de über Elternthemen zwischen Wahn und Sinn und hat im März 2022 sein erstes Sachbuch veröffentlicht: „Väter können das auch! Es ist Zeit, Familie endlich gleichberechtigt zu leben“ (Kösel-Verlag).
  • Mit seiner Frau und zwei Kindern (8 und 6) lebt er in Berlin-Kreuzberg.
  • Für das Schulportal schreibt er Kolumnen über den Schulalltag aus Elternsicht.