Kolumne

Dienstgeräte für Lehrkräfte : Nicht zu Ende gedacht

Jede zweite Lehrkraft verfügt inzwischen über ein digitales Dienstgerät, das hat die repräsentative Umfrage für das Deutsche Schulbarometer im September 2021 ergeben. Doch es reicht nicht, Lehrer:innen Dienstgeräte in die Hände zu drücken. In der Praxis können diese oft gar nicht oder nur sehr eingeschränkt genutzt werden, schreibt Bob Blume in seiner Kolumne für das Schulportal. Um den Herausforderungen der Digitalisierung tatsächlich gerecht zu werden, müssten Lösungen praktikabel und zu Ende gedacht sein. Andernfalls würden sich Lehrkräfte schnell abwenden und zu alten Mustern zurückkehren

Bob Blume
Ein Lehrer nutzt Laptop und Tablet zur Unterrichtsvorbereitung
Dienstgeräte für Lehrkräfte sind noch lange nicht überall Standard. Dort, wo es sie gibt, ist die Handhabung oft schwierig.
©Felix Kästle/dpa

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt“, heißt es in Franz Kafkas „Die Verwandlung“, einer der bekanntesten Erzählungen über die Untiefen der menschlichen Psyche. Auf Schüler:innen pflegt die Metamorphose erst mal befremdlich zu wirken, sie gilt als schwer entschlüsselbar. Lehrer:innen dagegen dürften die Pararbel momentan anhand der Analogien im Bildungswesen wohl sehr leicht dechiffrieren.

Ein Abgrund, der sich zurzeit auftut, heißt ganz profan: „Dienstgeräte“. Jedenfalls dort, wo selbige tatsächlich bereits angekommen sind. Während die einen also über Probleme mit den Geräten motzen, haben die anderen dazu wahrlich keinen Anlass – schlicht, weil es die Geräte dort gar nicht gibt.

Ein wenig schmunzeln musste ich also schon, als mir ein Kollege erzählte, wie er in verlegene Gesichter blickte, als er bei der Fortbildung an einer anderen Schule nach dem WLAN-Passwort fragte und als Antwort erhielt:

Die Schule hat kein WLAN.

Einen solchen Satz muss man sich mal in all seiner Bedeutungsschwere vor Augen führen. Mit Anlauf! Und mit Lametta. Damit alle hingucken:

Kein WLAN!

Und das ist ja noch richtig weit entfernt von „Dienstgeräten“.

Lehrer:innen dürfen auf den Dienstgeräten Anwendungen nicht selbst installieren

Da, wo diese Dienstgeräte inzwischen vorhanden sind, droht der neue Zoff. Oder, anders formuliert: Man spürt bereits den Panzer des Ungeziefers wachsen, der einen in die nicht mehr lebensfähige Schabe umwandelt.

So berichtete mir eine Kollegin über Instagram vor einigen Tagen, dass es zwar Dienstgeräte gebe, diese aber nicht genutzt werden könnten, weil nichts selbst installiert werden könne. Dafür bräuchte es einen Dienstleister, der für alle Kolleg:innen aller Schulen eines Umkreises alle Dienstgeräte pflegt.

Da spürt man, als digitalaffiner Kollege, doch sogleich, wie all jene Kolleg:innen, die sich dem digitalen Kulturwandel zunächst so verweigert hatten, sich nun unbändig darauf zu freuen beginnen, in einen lang anhaltenden E-Mail-Austausch mit diesem Dienstleister zu treten.

Und mal so am Rande angemerkt: Auf Twitter berichten Kolleg:innen von Dienstgeräten, die nicht mit den im Klassenzimmer befindlichen Anschlüssen funktionieren. Und über Dienstgeräte, auf denen nichts gespeichert werden darf!

Jetzt mal im Ernst: Da wird Entwicklung angehalten, bevor sie gestartet ist.

Und überhaupt: Es ist unbestreitbar, dass hippe Politiker:innen ein paar ganz tolle Catchphrases aus dem #twitterlehrerzimmer geklaut haben, um zu verkünden, dass Bildung „neu gedacht“ werden müsse, „zeitgemäß“ werden solle und so weiter und so fort.

Für die nächste Podiumsdiskussion sollte man eigentlich ein Poster basteln, auf dem nur zwei Begriffe stehen: „Wer?“ und „Wann?“

Es fehlt die nötige Infrastruktur an Dienstleistern

Denn die Realität ist eine andere. Dort, wo Dienstgeräte sind, dürfen sie entweder nicht administriert oder aber gar nicht erst benutzt werden.

Ja, richtig gehört.

Denn wenn zum Beispiel eine falsche Anwendung auf den Geräten ausgeführt wird, müssen deren Systeme erst mal wieder zurückgesetzt werden. Also von dem einen Beauftragten, der die zehn Schulen eines Landkreises administrieren soll. Hört sich das irgendwie unglaubwürdig an?

Sprechen Sie doch mal mit den Verantwortlichen der Medienzentren. Die sich fragen, wie sie das Bürokratiemonster „Digitalpakt“ umsetzen können, während sie gleichzeitig alle im Juni 2020 als Fernlernhilfen gekauften iPads so modifizieren, dass nicht irgendein oberster Datenschützer mit Strafen droht, wenn die Kinder einen falschen Knopf drücken.

Es ist – und damit kommen wir mit Trommeln und Fanfaren zum Titel dieser Kolumne – nicht zu Ende gedacht.

Natürlich ist Datenschutz wichtig, aber wenn es keine Alternativen gibt oder Alternativen so kompliziert sind, dass man für die Fortbildung des gesamten Kollegiums erst mal ein Jahr schulfrei beantragen müsste, dann ist das nicht zu Ende gedacht.

Wenn eine einzelne Lehrperson ein gesamtes Netzwerk administrieren muss, ohne dafür ein volles Deputat an Entlastung zu bekommen, dann ist das nicht zu Ende gedacht.

Wenn eine einzelne Lehrperson ein gesamtes Netzwerk administrieren muss, ohne dafür ein volles Deputat an Entlastung zu bekommen, dann ist das nicht zu Ende gedacht.

Wenn externe Dienstleister nicht beauftragt werden können, weil es schlicht zu teuer ist, die notwendige Infrastruktur zu installieren, dann ist das nicht zu Ende gedacht.

Wenn Kolleg:innen in einem Schuljahr, das mit etwaigen Lernstandserhebungen startet und dann über weitere Tests und Klassenarbeiten weiter funktionieren soll, als sei nichts gewesen, nebenbei noch Fortbildungen machen und sich in diverse Geräte einarbeiten sollen, dann ist das, richtig, nicht zu Ende gedacht.

Ich habe ein Poster dabei: „Wer?“ und „Wann?“ steht darauf.

Vielleicht sollten sich die politisch Verantwortlichen nicht so sicher sein, dass das so noch lange gut geht. Die ersten Anzeichen sind zu erkennen, dass viele resignieren und sagen: „Dann eben nicht.“

Und dann endet das Ganze vielleicht wie Kafkas „Verwandlung“: „Die Tür wurde noch mit dem Stock zugeschlagen, dann war es endlich still.“

Bevor es so weit kommt, sollten wir das mit der Digitalisierung vielleicht zu Ende denken.

Zur Person

  • Bob Blume ist Oberstudienrat am Windeck-Gymnasium im baden-württembergischen Bühl und unterrichtet die Fächer Englisch, Deutsch und Geschichte. Zuvor arbeitete er an einer Realschule im Schwarzwald. 
  • Neben seiner Arbeit als Lehrer betreibt er einen Youtube-Kanalund einen Blog, in dem er über die Herausforderungen des Referendariats, die Chancen der Digitalisierung und politische Themen schreibt. 
  • Als „Netzlehrer“ ist er auf  Twitter  unterwegs und betreibt auch einen Podcast mit diesem Namen. Nebenher publiziert er für Zeitungen und veröffentlicht Texte in verschiedenen Online-Magazinen – wenn er nicht mit seiner Tochter und seiner Frau das Leben in den Offenburger Weinbergen genießt.