Ganztagsschule : Wie Ganztagsschulentwicklung gelingen kann
Mit der flächendeckenden Einführung der Ganztagsschule zu Anfang des neuen Jahrtausends waren viele Hoffnungen verbunden. Heute steht sie in der Kritik, Versprechen zu ihrer Wirkung nicht einzulösen. Das zeigen auch die Ergebnisse des Deutschen Schulbarometers, einer repräsentativen Umfrage der Robert Bosch Stiftung in Kooperation mit der ZEIT Verlagsgruppe. Allerdings gibt es Stellschrauben für eine gewinnbringende Ganztagsschulentwicklung.

Seit Anfang der 2000er-Jahre wird in Deutschland der Ausbau der Ganztagsschule vorangetrieben. Jüngsten Zahlen der Kultusministerkonferenz (KMK) zufolge gelten bereits mehr als zwei Drittel der deutschen Schulen als Ganztagsschule. In der öffentlichen Wahrnehmung sowie in Bildungspolitik und Wissenschaft herrschte in den ersten Jahren des Ausbaus zunächst eine gewisse Euphorie, der gegenwärtig eher eine Ernüchterung und Kritik am Konzept sowie der Umsetzung von Ganztagsschule zu folgen scheint.
Pädagogisch gesehen spricht vieles dafür, dass Schulen dann ihre Schülerinnen und Schüler individuell am besten fördern können, wenn Unterricht und außerunterrichtliche Angebote konzeptionell und inhaltlich verzahnt sind, wenn die Phasen der Anspannung und Entspannung über den Tag hinweg angemessen verteilt sind – die sogenannte Rhythmisierung – und wenn die professionellen Hintergründe der Mitglieder des Ganztagsschulteams breit gefächert sind. An Ganztagsschulen dürften die Rahmenbedingungen – vor allem durch den erweiterten Zeitrahmen – damit zumindest prinzipiell sehr günstig sein, um dies in besonderem Maße realisieren zu können. Was sagen die empirischen Befunde dazu?
Nur jede dritte Ganztagsschule verzahnt Unterricht und außerunterrichtliche Angebote
Ein Ergebnis der bundesweit repräsentativen Schulleitungsbefragung 2018 innerhalb der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) ist, dass sich – nach Aussage der Ganztagsschulleitungen – eine Vertiefung von fachunterrichtlichen Themenfeldern und Wissensgebieten in den außerunterrichtlichen Angeboten an lediglich etwa einem Drittel der Ganztagsschulen in Deutschland findet. Von einer inhaltlichen Verzahnung von Unterricht und Angeboten kann also nur an einem Teil der Ganztagsschulen die Rede sein.
Auch zeigt die Befragung, dass an 83 Prozent der Ganztagsgrundschulen die Teilnahme an Ganztagsangeboten komplett freiwillig ist. An nicht gymnasialen Ganztagsschulen der Sekundarstufe I sind dies 43 Prozent, aber an Ganztagsgymnasien ist der Anteil mit 72 Prozent ähnlich hoch. Da Rhythmisierung nur dann umfassend umgesetzt werden kann, wenn alle Schülerinnen und Schüler auch verbindlich zumindest bis in den frühen Nachmittag vor Ort sind – und nicht etwa mitten im Tagesverlauf schon abgeholt werden –, ist sie bei einem Großteil der Ganztagsschulen nur schwer möglich.
Und hinsichtlich des Personals belegt die Schulleitungsbefragung von StEG, dass Schulleitungen Probleme bei der Gewinnung von pädagogischem Personal und Kooperationspartnern haben. Das heißt, dass nicht an allen Schulen ein Spektrum aus breit gefächerten Professionen pädagogisch tätig ist und dass damit das Potenzial eines multiprofessionellen Teams nicht immer voll ausgeschöpft werden kann.
Empirisch gesehen scheint es Ganztagsschulen also schwerzufallen, die Konzepte, mit denen im Besonderen pädagogische Hoffnungen verbunden sind, in pädagogische Praxis zu übersetzen. Profitieren aber diejenigen Schülerinnen und Schüler, die an Ganztagsangeboten teilnehmen?
Wichtig ist eine positive Schüler-Betreuer-Beziehung
Die enttäuschende Nachricht zuerst: Es gibt in Deutschland kaum empirisch belegte Vorteile der Teilnahme an außerunterrichtlichen Angeboten in der Ganztagsschule hinsichtlich der Schülerkompetenzen in standardisierten Leistungstests. Allerdings hat StEG über die Jahre vergleichsweise robuste Hinweise der Wirkungen der Angebotsteilnahme im sozialen und motivationalen Bereich geliefert. Hierzu gehören unter anderem positive Wirkungen der Angebotsteilnahme auf das Sozialverhalten, die Lernzielorientierung, die Noten, die Bildungsbeteiligung. Außerdem reduziert sie das Risiko sitzenzubleiben.
Diese Wirkungen stellen sich aber nicht umstandslos ein, nur weil eine Schülerin oder ein Schüler an einem außerunterrichtlichen Angebot teilnimmt. Lediglich Angebote mit einer hohen pädagogischen Qualität können in der zuvor beschriebenen Weise wirksam sein. Als wichtige Grundlage für Wirkungen gilt aus dieser Sicht auch eine positive Schüler-Betreuer-Beziehung sowie, dass Angebote intensiv, also mehrmals pro Woche, und dauerhaft, also über viele Jahre hinweg, besucht werden.
Die Zeitkonzepte der Schulen überarbeiten
Was man nicht vergessen sollte: Die Ganztagsschule steht auch dafür, die Betreuung der Kinder und damit auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten – und dies tut sie auch. Laut der von StEG befragten Ganztagsschulleitungen verfolgen im Grundschulbereich nahezu alle und im Sekundarbereich etwa neun von zehn Schulen mit ihrem jeweiligen Ganztagskonzept das Ziel der verlässlichen Schülerbetreuung.
Will die Ganztagsschule darüber hinaus ihr Potenzial weiter entfalten, so wird es darauf ankommen, die außerunterrichtlichen Angebote qualitativ hochwertig zu gestalten und sie so attraktiv zu konzipieren, dass sie intensiv und dauerhaft genutzt werden. Dazu wird es auch notwendig sein, konzeptionelle und inhaltliche Verbindungen zwischen Unterricht und Angeboten herzustellen. Zeitkonzepte der Schulen gilt es zu überarbeiten, genauso wie die Anstellungsverhältnisse und die Vielfalt des Personals.
All dies lässt sich leicht fordern. Die Umsetzung ist allerdings enorm schwer, wie die Erfahrungen aus 15 Jahren StEG-Forschung zeigen. Die Entwicklung von Ganztagsschulen bedarf Zeit und engagierter Schulentwicklungsarbeit seitens aller Beteiligten. Wissenschaft und Politik sollten sich hier im besten Falle mit angesprochen fühlen.
- Die Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) wird seit 2005 als länderübergreifendes Forschungsprogramm durchgeführt und wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
- Auf der Website des Projekts finden sich ausführliche Informationen zur Studie und zu Veröffentlichungen der Mitglieder des StEG-Teams. Hier steht auch der jüngst erschienene Bericht zur Schulleitungsbefragung zum Download bereit.
Zur Person
- Stephan Kielblock studierte Erziehungswissenschaft, Psychologie und Philosophie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
- 2018 promovierte er im Fach Erziehungswissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie an der Macquarie University in Sydney.
- Seit 2012 arbeitet Stephan Kielblock im Team der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG), zunächst im Gießener Teilstudienteam und seit 2018 als StEG-Gesamtkoordinator am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main.