Interkulturelle Bildung : Schulen sind Europas Zukunftswerkstätten
In den Schulen der Europäischen Union wird die kommende Generation Europas ausgebildet. Im besten Fall unterstützen Lehrkräfte Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zu unabhängigen und verantwortungsbewussten Bürgerinnen und Bürgern Europas. Schulportal-Kolumnist Michael Schratz ist überzeugt: „Europäische Superlehrkräfte” sind nicht nötig, um diesen Prozess voranzutreiben. Worauf es stattdessen ankommt, begründet er in seiner neuen Kolumne.
Was ist los mit der Vision eines gemeinsamen Europas? Nach der kriegerischen und nationalistischen Geschichte des Kontinents im vergangenen Jahrhundert entstand ein Gestaltungsraum, der sich trotz unterschiedlicher nationaler Eigenheiten zum friedlichen Zusammenleben und -arbeiten entwickelt hat. In jüngster Zeit haben allerdings nationalistische und antiliberale Kräfte eine antieuropäische Stimmung erzeugt. Sogar Lehrkräfte geraten unter Verdacht, in den „Willkommensklassen” die nationalen Werte zu untergraben. Doch welche Werte zählen noch? Welche Bildung brauchen wir? Soll und kann Schule überhaupt zu einem europäischen Bewusstsein beitragen?
So entwickeln sich Kinder und Jugendliche zu engagierten Europäern
In den schulischen Lehrplänen kommt Europa in erster Linie als kanonischer Inhalt vor – und deutlich seltener als Kompetenz zur aktiven Teilhabe an einem gemeinsamen Friedensprojekt. Zur „europasensiblen” Kompetenzorientierung in der Bildungsarbeit mit Schülerinnen und Schülern oder Auszubildenden gehören aber Aspekte wie:
- Leben in einer multikulturellen, inklusiven und vorurteilsfreien Gesellschaft;
- Leben in nachhaltig tragfähigen Lebensstilen im Hinblick auf „Well-being” und Umwelt;
- Umgang mit Chancengerechtigkeit in Familie, Arbeit und gesellschaftlichem Leben;
- Leben als europäische Bürgerin oder europäischer Bürger in Demokratie, Fairness und Rechtsstaatlichkeit sowie
- Gestaltung der eigenen Biografie im Spannungsfeld von persönlicher und gesellschaftlicher Entwicklung.
Der bewusste Umgang mit Vielfalt und Heterogenität an Schulen soll Kindern und Jugendlichen helfen, sich in der zunehmenden Komplexität und Pluralität Europas sicher zu entfalten. Die Auseinandersetzung mit kultureller Vielfalt beinhaltet das Erlernen fremder Sprachen, die Entwicklung von Kenntnissen über europäische und globale Fragen sowie den Erwerb unterschiedlicher Facetten künstlerischen Schaffens. Eine „europasensible“ Lehrkraft hält Schülerinnen und Schüler dazu an, diese kulturelle Vielfalt zusammen mit einer kritischen Sichtweise zu entwickeln, so dass sie zu autonomen, verantwortungsbewussten und aktiven Bürgerinnen und Bürgern Europas werden.
Europäische Lehrkräfte unterrichten in und für Europa
Die Lehrkräfte in der Europäischen Union bilden nicht nur die künftigen Bürgerinnen und Bürger ihrer jeweiligen Mitgliedstaaten aus – sie nehmen auch Einfluss auf die kommende Generation Europas. Sie unterrichten in einem nationalen Rahmen, der die Notwendigkeit einer nationalen Identität als Grundlage für ein europäisches Bewusstsein herausstellt. Der Begriff „europäische Dimension” wurde bislang eher dazu verwendet, um nationale und transnationale Wertvorstellungen in der Entwicklung der Bildungspolitik ausgewogen einander gegenüberzustellen. „Europasensibler” Unterricht braucht Lehrkräfte mit Europabewusstsein!
Dabei geht es aber nicht um einen „europäischen Superlehrer”. Vielmehr bedarf Lehrkräftebildung einer Auseinandersetzung mit Themen wie:
- „europäische Identität”,
- „Kenntnisse über Europa”,
- „europäischer Multikulturalismus”,
- „europäische Sprachkompetenz”,
- „europäische Professionalität”,
- „europäische Bürgerschaft” oder
- „europäisches Qualitätsverständnis”.
Wer mehr über die einzelnen Themen erfahren will, findet auf der Website der Pädagogischen Fakultät der Universität Ljubljana eine ausführliche Darstellung (in englischer Sprache).
Interkultureller Austausch als Lernchance für Europa
Europäische Programme für Schulen und Universitäten fördern physische und virtuelle Kontakte mit Gleichaltrigen in anderen europäischen Staaten. Klassen- oder Schüleraustausch sowie zahlreiche europäische Initiativen in diesem Bereich bereichern diesen Prozess des gegenseitigen Lernens und Zusammenwachsens in einem neuen Verständnis der europäischen Bürgerschaft. Das trägt dazu bei, auf mögliche Arbeitsplatzmobilität vorzubereiten. Darüber fördert das „Sich-Einlassen” auf Neues Resilienz und Unabhängigkeit. Die Auseinandersetzung mit dem Fremden ermöglicht Neugierde und Mut.
Das „Erasmus+”-Programm der Europäischen Union ist dabei inzwischen das weltweit größte Förderprogramm für Schulen, Universitäten, Jugendliche und Erwachsene. Laut einer aktuellen Umfrage des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) gehen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Erasmus-Programme doppelt so häufig Lebensbeziehungen mit Partnerinnen und Partnern aus anderen Ländern ein, wie Studierende ohne Auslandsaufenthalte. Außerdem liegt die Arbeitslosenquote der Erasmus-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer fünf Jahre nach dem Abschluss um 23 Prozent niedriger.
Digitale Medien überwinden Grenzen
Im europäischen Klassenzimmer sind digitale Medien mehr als nur technische Instrumente zum Spielen und Erkunden oberflächlicher Daten. Sie überwinden sprachliche und kulturelle Grenzen, verändern den Bildungsraum und unterbrechen Routinen im Unterricht. Um diese Entwicklung zu unterstützen, hat die Europäische Kommission „DigCompEdu” entwickelt – den „Europäischen Rahmen für die Digitale Kompetenz von Lehrenden“. Dieser Kompetenzrahmen soll Lehrkräfte beim Einsatz digitaler Medien zur Verbesserung und innovativen Weiterentwicklung von Bildungsprozessen unterstützen.
Digitale Mobilität bei der Gewinnung und Verbreitung von Informationen wird als unabdingbare Voraussetzung für physische Mobilität angesehen. Digitale Medien sind aber zugleich auch Schrittmacher für gesellschaftliche Transformationen und globalen Wandel. Die digitale Zukunft benötigt grenzenlose Auseinandersetzung und die „Weisheit der Vielen”. Dazu braucht es Schulen als Zukunftswerkstätten!
Zur Person
- Der österreichische Erziehungswissenschaftler und Schulpädagoge Michael Schratz ist Gründungsdekan der School of Education der Universität Innsbruck.
- In seiner Arbeit fokussiert sich Michael Schratz auf die Schulentwicklung und die Professionalisierung von Führungspersonen im Bildungsbereich.
- Als hochkarätiger Experte aus der Wissenschaft ist er Mitglied der Jury des Deutschen Schulpreises und zugleich deren Sprecher.
- Für Das Deutsche Schulportal schreibt Michael Schratz regelmäßig eine Kolumne und beobachtet dafür internationale Entwicklungen im Bildungssektor.
Das Schulportal berichtet regelmäßig und aktuell über Themen wie „Demokratisch Handeln” und „Vielfalt”. Eine Auswahl:
- Lucas Valle Thiele ist Schülervertreter und macht sich für mehr politische Diskussion und Partizipation in der Schule stark. Im Gespräch mit dem Schulportal erklärt er, wie die Demokratiebildung an Schulen besser werden kann. Hier geht es zum Interview „Wie viel Demokratie lassen Schulen zu?”.
- Die Sophie-Scholl-Schule im bayrischen Bad Hindelang möchte ein weltorientiertes Lernen ermöglichen, dass ganzheitlich und fächerübergreifend angelegt ist. Erfahren Sie hier mehr über das Konzept „Global Citizenship Education”.
- Viele Lehrerinnen und Lehrer sind nicht erst seit den Meldeportalen der AfD verunsichert, wenn es um politische Auseinandersetzung mit Schülerinnen und Schülern geht. Was Gastautor Stefan Breuer von der TU Dresden dazu Lehrkräften rät, lesen Sie in seinem Gastbeitrag „Wie politisch dürfen Lehrerinnen und Lehrer sein?”.
- Jede(r) ist besonders: Unter dieser Maxime entwickeln Schulen Konzepte für den Umgang mit Vielfalt. Erfahren Sie im Beitrag „Schulen engagieren sich gemeinsam für mehr Vielfalt” mehr über die Initiative.