Expertenstimme

Studienseminar : „Lernen im Studienseminar ist eine Einbahnstraße“

Unser Autor Thomas Ahnfeld hat gerade sein Referendariat abgeschlossen. In das war er mit der Vorstellung gestartet, dass angehende Lehrkräfte als Motor für Innovationen willkommen sind und er im Ausbildungsseminar darin unterstützt wird, einen eigenen, zukunftsorientierten Unterrichtsstil zu finden. Doch es kam anders. „Insgesamt war der Vorbereitungsdienst für mich eine ernüchternde, teilweise sogar leidvolle Erfahrung“, so sein Fazit. In seinem Gastbeitrag für das Schulportal beschreibt er, was er sich in der zweiten Phase der Lehramtsausbildung anders wünscht.

Thomas Ahnfeld
Studienseminar Junge Lehrerin vor einer Schulklasse
Viele angehende Lehrkräfte starten mit der Vorstellung ins Referendariat, dass innovative Ideen gefragt sind - doch oft werden sie enttäuscht.
©Getty Images

In einem der ersten Seminare meines Referendariats wurde ich von meiner Ausbilderin gefragt: „Herr Ahnfeld, wie viele Stunden Sportunterricht haben Sie in Ihrem Leben schon gegeben?“ Ich ging von einer ehrlichen und interessierten Nachfrage aus, woraufhin ich meine Praktika während des Studiums im In- und Ausland zusammenzählte und auf 80 Stunden kam. „Nur 80?“ war die Reaktion der Ausbilderin, die nach einer wirkungsvollen Kunstpause hinzufügte: „Das ist wirklich sehr, sehr wenig, Herr Ahnfeld.“ Ich war verblüfft, dass sie sich gar nicht für den Inhalt meiner Sportstunden interessierte, sondern mir lediglich klarmachen wollte, wie viel größer ihr Erfahrungsvorsprung war.

Diese Situation wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben, da ich diesem defizitären Blick auf angehende Lehrkräfte im Studienseminar immer wieder ausgesetzt war. Insgesamt war der Vorbereitungsdienst, wie das Referendariat in Thüringen genannt wird, für mich eine ernüchternde, teilweise sogar leidvolle Erfahrung und das, obwohl ich mich auf eine inspirierende Ausbildung gefreut hatte. An meiner Ausbildungsschule bin ich hervorragend betreut worden. In der Ausbildung angehender Lehrkräfte sehe ich aber Veränderungsbedarf und möchte daher Wünsche für eine bessere Zukunft  der Lehramtsausbildung formulieren.

Insgesamt war der Vorbereitungsdienst für mich eine ernüchternde, teilweise sogar leidvolle Erfahrung.

Ich war mit der Vorstellung ins Referendariat gestartet, dass Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter als Motor für Innovationen sehr willkommen sind und nach ihrem abgeschlossenen Hochschulstudium als kompetent wertgeschätzt werden. Doch ich habe schnell festgestellt, dass die langjährige Berufserfahrung der Ausbilderinnen und Ausbilder grundsätzlich über die Erfahrungen der Anwärterinnen und Anwärter gestellt werden. Dadurch entstehen hierarchische Positionen, die ein dialogisches Lernen ausschließen. Mir wurde signalisiert, dass das Lernen im Studienseminar eher eine „Einbahnstraße“ ist und innovative Ideen aus dem Studium nachrangig sind. Aus meiner Sicht ist es aber eine der wichtigsten Aufgaben von Lehrkräften, Schülerinnen und Schüler auf die Zukunft vorzubereiten. Aus diesem Grund sollten zukunftsgerichtete Konzepte für den Unterricht mehr Raum erhalten, weil Lehrerbildung Fortschritt bedeuten muss.

Das traditionelle Verständnis von Lernen und Lehren spiegelt sich in einem weiteren persönlichen Erlebnis wider: Ein anderer Lehramtsanwärter und ich hatten eine sehr unterschiedliche Ausbildungssituation. Unsere gemeinsame Ausbilderin bezeichnete aber eine Differenzierung zwischen mir und ihm immer wieder als enorm belastend, da sie eigentlich zwei Seminare und Einzelbetreuung anbieten müsse, was sie zeitlich nicht leisten könne. Ich finde aber, die Verschiedenheit der Anwärterinnen und Anwärter aufgrund ihrer Persönlichkeit und Biografie ist eine große Chance für einen Austausch. Natürlich sehe ich in einer erfolgreichen Binnendifferenzierung eine immense Herausforderung. Doch wie soll ich das für eine ganze Klasse lernen, wenn sie nicht einmal in der Ausbildung von zwei Lehramtsanwärtern vorgelebt wird?

Die Verantwortlichen im Studienseminar haben sich in der Corona-Krise fast ausschließlich auf die Neuausrichtung der Prüfungen konzentriert.

Die Vorstellung, nach mehr als acht Jahren im schlimmsten Fall keinen Berufsabschluss zu bekommen, war für mich einer der größten Belastungsfaktoren. Von der Benotung durch die Ausbilderinnen und Ausbilder und von ihrem Wohlwollen abhängig zu sein, hat mich eine Art Ohnmachtssituation erleben lassen. Meiner Meinung nach ist es längst nicht mehr zeitgemäß, Menschen unter existenziellem Druck zu benoten. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass meine Perspektive auf Bildung und Unterricht kaum erwünscht ist und ich meine Meinung besser für mich behalten sollte. Ich halte es für pädagogisch sehr bedenklich, wenn mir als Lehramtsanwärter das Gefühl vermittelt wird, dass meine Lehrmeinung nicht akzeptiert wird und mir stattdessen andere aufgezwungen werden. Es war für mich immer paradox, dass mir beispielsweise monatelang die wörtliche Formulierung von Lernzielen eingetrichtert wurde, aber nach dem Vorbereitungsdienst derartige Vorgaben kaum eine Rolle mehr spielen.

Während der Corona-Krise hat sich das alles noch weiter verschärft. Die Verantwortlichen im Studienseminar haben sich fast ausschließlich auf die Neuausrichtung der Prüfungen konzentriert. Ich bekam zwischenzeitlich täglich E-Mails mit Änderungen. Aufgrund der sich ständig verändernden Prüfungsanforderungen wurde die von mir erhoffte Chance, die Krise auch als Lerngelegenheit zu nutzen, weitgehend verpasst. Es gab über Wochen hinweg keine Konferenzen, Bildungsangebote oder inhaltliche Unterstützung für meine parallel dazu weiterlaufenden digitalen Unterrichtserfahrungen an meiner Schule.

Eine Videokonferenz – als Vorbereitung auf die Prüfung – war der einzige Input für meine beiden Ausbildungsfächer im letzten halben Jahr meiner Ausbildung. Vor der Krise wurde jeder Unterrichtsentwurf und jede einzelne Unterrichtsphase sprichwörtlich „auf die Goldwaage“ gelegt. Aber in den vergangenen Wochen und Monaten schien es völlig beliebig zu sein, wie ich meinen Unterricht in Distanz und Präsenz gestalte.

Beziehungsarbeit im Studienseminar ist eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen fürs Lernen.

Aber ich habe im Vorbereitungsdienst auch erfahren, dass es anders gehen kann. Ich habe Ausbilderinnen und Ausbilder kennengelernt, die mir mit ihrer wertschätzenden Art und ihrer bedingungslosen Unterstützung ein großes Vorbild waren. In einem Hospitationsgespräch wurde mir zum Beispiel gesagt: „Lieber Herr Ahnfeld, Sie dürfen ehrlich entscheiden, welche unserer Beratungsangebote Sie annehmen und auf welche Sie lieber verzichten möchten.“ Solch einen respektvollen Umgang hätte ich mir häufiger gewünscht, gerade weil nach meinem Verständnis Beziehungsarbeit im Studienseminar eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen fürs Lernen ist. Hierzu gehört für mich auch, dass die Ausbilderinnen und Ausbilder auf die individuelle Entwicklung eines authentischen und zukunftsorientierten Unterrichtsstils eingehen.

Aus meiner Sicht wäre es daher ein großer Fortschritt, wenn Lehramtsanwärterinnen und -anwärter viel mehr bestärkt statt benotet werden und man ihnen den anspruchsvollen Vorbereitungsdienst erleichtern würde. Dann wären sie in der Lage, auch die Krisen von morgen zu meistern.

Zur Person

  • Thomas Ahnfeld hat gerade sein Referendariat in Thüringen abgeschlossen und ist jetzt Gymnasiallehrer für Sport und Spanisch. Nach den Sommerferien wird er seine Arbeit als Lehrkraft zunächst ruhen lassen und als Referent für Pädagogik für die Evangelische Schulstiftung Mitteldeutschland arbeiten.
  • Er ist Berater für den Deutschen Schulpreis und die Deutsche Schulakademie im Regionalbüro in Jena und hat das Planspiel Gute Schule mitentwickelt, das Impulse zur Schulentwicklung geben will.
  • Ahnfeld hätte sich gewünscht, dass die Corona-Krise stärker zu einem Überdenken der Lern- und Lehrstrukturen auch in der Lehramtsausbildung anregt. Darum hat er im April einen offenen Brief an sein Studienseminar geschrieben, in dem er Denkanstöße für die zukünftige Gestaltung des Referendariats formuliert.