Expertenstimme

Arbeitsbelastung : Leider Schulleiter?

Fast alle Schulleiterinnen und Schulleiter empfinden eine hohe oder sehr hohe Arbeitsbelastung, häufig ist die Grenze zur Überlastung überschritten. Warum ist das so und wie gehen sie damit um? Schulleiter Matthias Förtsch beschreibt in einem Gastbeitrag seinen Arbeitsalltag und wie Leitungen selbst, aber auch die Politik, der Überlastung vorbeugen können.

Matthias Förtsch
Aktenordner auf dem Schreibtisch
Schulleitungen in ganz Deutschland wünschten sich weniger dieser formalen Anforderungen.
©dpa

Seit 2,5 Jahren bin ich Schulleiter an einem kleinen Gymnasium als Teil eines Bildungszentrums. In den ersten zwei Jahren habe ich mich als „Corona-Schulleiter“ bezeichnet, denn ich kannte nichts anderes als den Ausnahmezustand: kurzfristige Verordnungen, ausführliche Beschreibungen von Teststrategien, Durchsetzung von Regelungen zum Infektionsschutz inkl. vieler Diskussionen und sogar Anfeindungen, höchster Innovationsdruck im Bereich der technischen Digitalisierung von Schule (Server, W-Lan, Dienstgeräte, Beamer, Tablets für Schülerinnen und Schüler u.v.m.) und hoher Fortbildungsbedarf. Ich fühlte mich eher als Krisenmanager denn als Schulleiter.

Dieses Schuljahr ist das erste, in dem andere – normale – Herausforderungen in den Blick rücken. Nach dem Deutschen Schulbarometer sind dies für Schulleitungen in Deutschland aktuell vor allem der Personalmangel (67 Prozent), mit weitem Abstand danach Digitalisierung, Bürokratie bzw. Arbeitsbelastung (jeweils ca. 20 Prozent). Fragt man Schulleitungen nun nach dem Grad der Belastung, so empfinden fast alle eine hohe oder sehr hohe Arbeitsbelastung.

Privatschulen und Personalmangel

Ich finde mich da nur zum Teil wieder: Die Gymnasien kämpfen (bisher?) nur partiell mit Personalmangel, und dann vor allem in Fächern wie Physik, Informatik oder Bildende Kunst. Unsere vorletzte Einstellung im Bereich Physik ist via Twitter gelungen, im Bereich Bildende Kunst bietet das Land Baden-Württemberg Weiterbildungen für interessierte Lehrkräfte an. Private Schulen sind hier manchmal im Vorteil: Sie können oft auch wissenschaftlich ausgebildete Menschen ohne zweites Staatsexamen, dafür aber mit didaktischem Talent, beschäftigen. Und private Schulen sind auch im Nachteil, denn in Zeiten des Mangels verbeamten die Bundesländer ihre Lehrkräfte wieder zuverlässiger und bezahlen sie auch schrittweise besser („A13 für alle“).

Digitalisierung und Corona-Folgen: Anträge, Anträge, Anträge

Zur Bürokratie: Die Schritte zur Digitalisierung von Schulen und die Bewältigung der Corona-Folgen waren verbunden mit einer Vielzahl an Anträgen, um die Gelder zu erhalten:

  • Digitalpakt mit Medienentwicklungsplan (ca. 30 Seiten Umfang)
  • Antrag für das Dienstgeräteprogramm des Bundes
  • Antrag für das Administrationsprogramm des Bundes
  • Antrag auf Corona-Sondermittel des Landes
  • Antrag auf Erstattung entgangener Betreuungsgebühren
  • Antrag auf die Gelder für das Corona-Aufholprogramm „Lernen mit Rückenwind“ (jährlich zu wiederholen)

Zu den meisten dieser Anträge gehörte natürlich auch ein entsprechend detaillierter Verwendungsnachweis. Und die umfassenden coronabedingten Melde- und Dokumentationspflichten, die die Sekretariate und Schulleitungen täglich umfassend beschäftigt hielten, sind dabei noch gar nicht ausführlich beschrieben.

Programme sollten wohlüberlegt eingeführt und umfassend finanziert sein, um einen solchen Aufwand zu vermeiden.

Schulleitungen in ganz Deutschland wünschten sich weniger dieser formalen Anforderungen. Programme sollten wohlüberlegt eingeführt und umfassend finanziert sein, um einen solchen Aufwand zu vermeiden. Viele Schulen haben Gelder aus genau diesem Grund nicht oder nicht in vollem Umfang abgerufen, vor allem nicht jene der Corona-Aufholprogramme. Dies wird man vermutlich in der Endabrechung deutlich erkennen.

Übervollzeitjob Schulleitung

Trotzdem: Wer in die Schulleitung geht, hat es sich gut überlegt und weiß, worauf er oder sie sich einlässt. Wer es nicht tut, weiß auch, warum er oder sie es sich erspart. Schon der Job als normale Lehrkraft ist geprägt von Belastungsspitzen mit 50 bis 60 Stunden pro Woche und mehr, vor allem während Klassenfahrten, in Korrekturphasen oder während der Abschlussprüfungen. Dafür gibt es dann auch ruhigere Phasen in den Ferienzeiten. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die durchschnittliche Arbeitszeit trotzdem deutlich über dem Schnitt der für Beamte vorgesehenen Stundenanzahl liegt.

Ich kenne kaum eine Schulleitung, die ihre Tätigkeit mit einem halbwegs normalen Familienleben vereinbaren kann.

Für Schulleitungen potenzieren sich diese Belastungsspitzen. Ich kenne kaum eine Schulleitung, die ihre Tätigkeit mit einem halbwegs normalen Familienleben vereinbaren kann. Es gibt Lösungsansätze, die beim Leitungshandeln selbst, und solche, die an den Rahmenbedingungen ansetzen.

Wie die Aufgaben machbar werden

  1. Arbeit im Team: Eine Aufgabenverteilung im Team bedarf zwar intensiver Absprachen, aber die Verantwortung wird geteilt. Auch sollte sichergestellt sein, dass es für jeden Bereich mindestens eine zusätzliche Person gibt, die diese Aufgabe im Zweifel übernehmen könnte. Auch Präsenzzeiten können im Team verteilt werden.
  2. Tracking der Arbeitszeit: Seit meinem Start in diese Aufgabe bemühe ich mich, meine Wochenarbeitszeit unter 60 Wochenstunden zu halten. Dazu gehört, dass ich nach langen Abendsitzungen auch mal etwas später zur Arbeit fahre. Ich zeichne meinen Zeiteinsatz mit einer Stempeluhr-App auf.
  3. Energie aufnehmen: Gute Rückmeldungen, Erfolge von Schülerinnen und Schülern, gemeinsames Feiern … – es gibt viele Gelegenheiten, positive Energie zu sammeln und Freude in diesem Job zu finden. Dann ist die eingesetzte Zeit auch nicht das Entscheidende. Gestalten ist nicht nur eine große Aufgabe, sondern auch eine große Freude.

Was verändert werden muss

Was dringend nötig wäre: Die Zahl der Entlastungsstunden für die Leitungstätigkeit (und für den IT-Bereich an allgemeinbildenden Schulen) entspricht bei Weitem nicht mehr dem anfallenden Arbeitsvolumen. Hier gibt es zwar verschiedene Initiativen der Kultusverwaltungen, diese sind aber nicht mehr als Kosmetik. Die Probleme bei der Besetzung von Leitungsstellen sollten Alarmsignal genug sein. Angesichts der zunehmenden Delegation von Aufgaben an die Einzelschule sollte auch die Ausstattung mit Verwaltungsstellen neu überdacht werden. Verantwortungsübernahme braucht Ressourcen. Man wird ja wohl noch träumen dürfen … 🙂

Zur Person

  • Matthias Förtsch ist Schulleiter am Gymnasium des Bischof Sproll Bildungszentrums in Biberach. Er ist zudem Autor und Coach für die Themen Schulentwicklung und Kultur der Digitalität. Über diese Themen schreibt er auch auf Twitter und in seinem Blog.
  • Für das Deutsche Schulportal schreibt Matthias Förtsch regelmäßig Gastbeiträge.