Expertenstimme

Chancengleichheit : Hohe Schulkosten für Eltern verstärken Bildungsarmut

Je wohlhabender die Eltern, desto besser gebildete Kinder – das belegen Studien seit Jahren. Kinder aus einkommensschwachen Familien haben deutlich schlechtere Bildungschancen. Doch was ist zu tun? In seinem neuen Gastbeitrag über Bildungsarmut liefert Werner Klein Antworten.

Werner Klein
Stichwort Bildungsarmut: ein Kind hält mehrere Schulhefte und Schulbücher in der Hand
„Schulische Bildung kostet – nicht nur den Staat, sondern in einem erheblichen Maß auch die Eltern", schreibt Werner Klein in seinem Gastbeitrag über Bildungsarmut.
©dpa

Ausflüge, Klassenfahrten, Fahrtkosten, Sportzeug, Bücher, Schreibutensilien, Ganztagsbetreuung, Schulessen, Nachhilfeunterricht und immer häufiger auch digitale Geräte: Schulische Bildung kostet – nicht nur den Staat, sondern in einem erheblichen Maß auch die Eltern. Zwar sind mit Abschaffung von Schulgeld für Grundschulen in öffentlicher Trägerschaft im Jahre 1919 und für Gymnasien seit Ende der 50er Jahre die Zeiten vorbei, in denen die Dienstleistung von Lehrkräften direkt durch die Eltern entlohnt wurde. Hohe Kosten entstehen den Eltern aber auch heute noch durch eine Vielzahl von Ausgaben für den Schulbesuch ihrer Kinder. Daran ändert die in meisten Bundesländern gesetzlich garantierte Lernmittelfreiheit nur bedingt etwas, weil die zur Verfügung gestellten Mittel nicht ausreichen.

Was kostet Schulbildung die Eltern?

Die in den Ländern geltenden Regelungen zur Lernmittelfreiheit unterscheiden sich zum Teil erheblich und ergeben ein unübersichtliches Bild. So werden in einigen Ländern Schulbücher kostenlos ausgeliehen, während andere dafür Gebühren erheben. Für bestimmte Schulstufen müssen Eltern Kostenbeiträge entrichten, für andere nicht. In einigen Ländern machen Schulen Kopierkosten gegenüber den Eltern geltend, in anderen trägt die Schule diese Ausgaben usw.

Verlässliche statistische Daten zu den von den Eltern tatsächlich gezahlten Schulkosten ihrer Kinder gibt es nicht. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, hat das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) im Auftrag des Bildungsministeriums Schleswig-Holstein im Herbst 2016 eine repräsentative Befragung der Eltern von Kindern aller Klassenstufen und Schularten in Schleswig-Holstein durchgeführt. Ziel der Umfrage war es, die tatsächlichen Bildungskosten für Eltern pro Schuljahr für schulische Ausstattung, Bücher, Verbrauchsmaterial, Sportkleidung, Unternehmungen, Versorgung und Nachhilfeunterricht zu ermitteln.

Die in dieser Höhe nicht erwarteten Ergebnisse zeigen, dass Eltern dafür im Durchschnitt knapp 1000 Euro pro Kind und Schuljahr ausgeben. Den höchsten Anteil haben mit durchschnittlich 300 Euro Ausgaben für Fahrtkosten, Schulessen und Nachmittagsbetreuung, gefolgt von Klassenfahrten und Ausflügen (circa 180 Euro), Schulequipment (circa 170 Euro), Sportunterricht (circa 100 Euro), Nachhilfe (100 Euro), Verbrauchsmaterial (circa 90 Euro) und Büchern (circa 50 Euro).

Unabhängig von der besuchten Schulart und Klassenstufe des Kindes geben Eltern mit höherem Bildungsabschluss erheblich mehr als Eltern mit niedrigerem Bildungsabschluss für schulische Belange aus.
Werner Klein, Programmteam der Deutschen Schulakademie

Wenig überraschend ergeben sich bei den Ausgaben deutliche Unterschiede hinsichtlich Schulart, Klassenstufe und vor allem familiärer Merkmale. Schulkosten sind laut IPN-Erhebung besonders hoch in den Klassen eins bis drei und in der Sekundarstufe II an Gemeinschaftsschulen mit gymnasialer Oberstufe und Gymnasien. Unabhängig von der besuchten Schulart und Klassenstufe des Kindes geben Eltern mit höherem Bildungsabschluss erheblich mehr als Eltern mit niedrigerem Bildungsabschluss für schulische Belange aus. Dies wird besonders deutlich an den Ausgaben für Nachhilfe. Hier zahlen Eltern mit einem Studium oder einer Promotion mit durchschnittlich 101,60 Euro etwa 30 Prozent mehr als Eltern mit Haupt- oder Realschulabschluss (72,31 Euro) und dreimal so viel wie Eltern ohne einen Schulabschluss (31,71 Euro).

Nicht erhoben wurden dabei die Kosten für digitale Endgeräte, die in der Schule eine immer größere Rolle spielen. Um vor dem Hintergrund der pandemiebedingten Schulschließungen möglichst alle Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten auszustatten, hat der Bund in Ergänzung des Digitalpakts Schule (2019-2024) den Ländern im Jahr 2020 einmalig 500 Millionen EURO als „Sofortausstattungsprogramm“ zur Verfügung gestellt. Die Länder haben in unterschiedlichem Umfang die ihnen vom Bund zugeteilten Mittel durch einen Eigenanteil oder weitere Ausstattungsprogramme ergänzt. Ob die verschiedenen Programme tatsächlich dazu geführt haben, dass alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern die passenden digitalen Geräte erhalten haben, bleibt zu hoffen; verlässliche statistische Angaben dazu gibt es nicht. Den konsequenten, aber für das Land sehr kostenträchtigen Weg, alle Schülerinnen und Schüler mit schulischen Laptops auszustatten, ist bisher nur Bremen gegangen.

Die Ergebnisse sind ein weiteres Indiz für den bekannten Befund, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand der Eltern und der Wahl der Schulart besteht. Insbesondere der Weg auf das Gymnasium stellt für Kinder aus Elternhäusern mit niedrigerem Bildungsstand auch in materieller Hinsicht eine deutlich größere Hürde dar als für andere.

Vorhandene Unterstützung reicht nicht aus

Laut dem sogenannten Armutsbericht der Bundesregierung wird Armut als ein Mangel an Mitteln und Möglichkeiten verstanden, das Leben so zu leben und zu gestalten, wie es in unserer Gesellschaft üblicherweise auf Basis des historisch erreichten Wohlstandsniveaus möglich ist. Diese Definition von relativer Armut betrifft auch die schulische Bildung.

Um zumindest Kinder und Jugendliche aus Familien, die staatliche Transferleistungen erhalten, hier finanziell zu unterstützen, besteht seit 2011 ein individueller Rechtsanspruch auf Leistungen aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung.

Für den Bildungsbereich werden daraus auf Antrag zweckgebundene Leistungen finanziert wie z.B. die Aufwendungen für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten, die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf in Höhe von 150 Euro je Schuljahr, die Kosten für Schülerbeförderung, eine ergänzende Lernförderung und die Teilnahme an einer Mittagsverpflegung ohne Eigenanteil. Um am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben, erhalten Eltern darüber hinaus monatlich 15 Euro z.B. für Mitgliedsbeiträge in Sportvereinen und Aktivitäten der kulturellen Bildung.

Ein Vergleich mit den tatsächlichen Kosten (s.o.) zeigt jedoch, dass auch diese zum 1. August 2022 erhöhten Mittel bei weitem nicht ausreichen, um Bildungsarmut zu verhindern. Hinzu kommt, dass viele antragsberechtigte Eltern nach wie vor entweder von ihren Möglichkeiten nichts wissen oder sich nicht in der Lage sehen, einen entsprechenden Antrag zu stellen.

Besonders betroffen von finanziellen Belastungen bleiben damit Eltern mit unterdurchschnittlichem Einkommen und mehreren schulpflichtigen Kindern, die keine staatlichen Transferleistungen beziehen und damit auch keine Unterstützung aus dem Bildungs- und Teilhabepaket.

Was ist gegen Bildungsarmut zu tun?

Da Bildungsfinanzierung eine gesellschaftliche Aufgabe ist, müssen alle Beteiligten zur Verringerung der bestehenden Bildungsarmut beitragen: Bund, Länder, Gemeinden, die Schulen und auch die Eltern.

Seit vielen Jahren gilt, dass die Bildungsausgaben in Deutschland in absoluten Zahlen zwar hoch sind, bezogen auf den Anteil am Bruttoinlandsprodukt im internationalen Vergleich laut OECD aber nur unterdurchschnittlich. Gaben die OECD-Länder 2019 im Durchschnitt 4,9 Prozent ihres BIP für Bildungseinrichtungen vom Primar- bis zum Tertiärbereich aus, kommt Deutschland auf etwas über 4 Prozent und liegt damit erkennbar hinter Norwegen, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten mit mindestens 6 Prozent. Diese Differenz an Bildungsausgaben fehlt und würde vieles möglich machen, um Bildungsarmut zu beseitigen.

Nur durch eine verbesserte finanzielle Ausstattung können Schulen bereitstellen, was Schülerinnen und Schüler für ihre schulische Bildung tatsächlich benötigen.
Gastautor Werner Klein

Hinzu kommt die unsinnige Trennung von Zuständigkeiten im Bildungsbereich durch die 2006 beschlossene Föderalismusreform, die für den Bund keine Möglichkeiten vorsieht, direkt im Bereich Schule Einfluss zu nehmen und Mittel bereit zu stellen. Das führt zu der absurden Situation, dass die Mittel im Bildungs- und Teilhabepaket zu circa 30 Prozent für den damit verbundenen Verwaltungsaufwand verbraucht und Gelder  für private Nachhilfe gezahlt werden, die eigentlich den Schulen zugutekommen sollten, um dort die notwendige Förderung personell leisten zu können. Um die Finanzierungsmöglichkeiten für schulische Bildung den wachsenden Anforderungen anzupassen, sollte daher das sogenannte Kooperationsverbot des Bundes im schulischen Bereich durch eine weitere Revision des Grundgesetzes beseitigt werden – wie aktuell für den Digitalpakt vorgesehen.

Unbedingt erforderlich ist in vielen Bundesländern auch eine Erhöhung der Sätze für die Lernmittelfreiheit, die von den Gemeinden als Schulträger nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel zur Verfügung gestellt werden müssen. Nur durch eine verbesserte finanzielle Ausstattung können Schulen bereitstellen, was Schülerinnen und Schüler für ihre schulische Bildung tatsächlich benötigen wie z.B. kostenfreie Lernmittel, Bildungs- und Betreuungsangebote im Ganztag, Förderung durch multiprofessionelle Teams, ein kostenfreies Mittagessen und eine passende digitale Ausstattung.

Aber auch die Schulen können durch abgestimmte interne Regelungen und verschiedene Unterstützungsangebote wie etwa Schulvereine dazu beitragen, dass sich die zusätzlichen schulischen Kosten für Eltern in einem vertretbaren Rahmen bewegen. Insbesondere Klassenfahrten und Ausflüge erweisen sich häufig als eine große finanzielle Belastung für Eltern. Aus nachvollziehbarer Scham, die eigene finanzielle Situation offenzulegen, wenden sich einige der betroffenen Eltern nicht an die Schule, um eine finanzielle Unterstützung zu erhalten. In manchen Fällen bleibt auch zu fragen, worin die pädagogische Funktion einer aufwändigen Flugreise zu bekannten Urlaubszielen im Mittelmeer besteht. Hier könnten angemessene finanzielle Obergrenzen mit allen an Schule Beteiligten ausgehandelt und mit einem pädagogischen Konzept für Ausflüge und Klassenfahrten verbunden werden. Dies ist vielen Schulen bereits üblich und stellt dort sicher, dass keine Schülerin und kein Schüler zurückbleiben.

Zur Person

  • Werner Klein leitete beim Sekretariat der Kultusministerkonferenz in Berlin die Abteilung Qualitätssicherung, internationale und europäische Angelegenheiten und Statistik.
  • Zuvor arbeitete der Pädagoge im Bildungsministerium Schleswig-Holstein als Leiter des Referats Qualitätsentwicklung an Schulen und im Landesinstitut.
  • Schwerpunkte seiner Arbeit sind systematische Schulentwicklung und Bildungsmonitoring.
    Werner Klein gehörte zum Programmteam der Deutschen Schulakademie.