Expertenstimme

Handreichungen : Die Summe vieler Angebote ist noch kein Ganztagskonzept

Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026 ist mittlerweile beschlossen. Um Qualität zu sichern, reicht es aber nicht, den Unterrichtstag nur zu verlängern. Es braucht vor allem ein gutes Konzept für die Ganztagsschule. Was das ausmacht, wie das Team in der Ganztagsschule zusammenarbeiten sollte und von welchen Angeboten Schülerinnen und Schüler profitieren, hat das Projekt „Wissenschaftsgeleiteter Qualitätsdialog zum Ganztag“ des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation analysiert. Gastautorin Amina Kielblock hat daran mitgearbeitet und beschreibt hier die Ergebnisse. Grundlage für die Analyse war ein intensiver Austausch zwischen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Verwaltung und Praxis. Zu den wichtigsten Erkenntnissen für ein gutes Konzept für die Ganztagsschule liegen jetzt Handreichungen vor.

Amina Kielblock
Kinder auf dem Weg zur Ganztagsschule
Ab 2026 gibt es für Grundschulkinder einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung. Doch damit die Kinder auch gern mehr Zeit in der Schule verbringen, braucht es ein gutes Konzept für die Ganztagsschule.
©dpa

Damit Kinder und Jugendliche von der Ganztagsschule profitieren, kommt es auf die Qualität der Angebote an. Das zeigt das Wissen aus den vergangenen fast 20 Jahren Ganztagsschulforschung. Darauf aufbauend hat das Projekt „Wissenschaftsgeleiteter Qualitätsdialog zum Ganztag“ des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation sechs Handlungsfelder als zentral für einen guten Ganztag herausgearbeitet:

  • Der Ganztag umfasst ein komplexes Netzwerk aus Institutionen und Akteur:innen, daher ist eine gute Steuerung des Ganztags entscheidend.
  • Auch eine gute Zusammenarbeit im Ganztagsteam ist wichtig, dabei geht es unter anderem um die Harmonisierung der pädagogischen Arbeit im multiprofessionellen und institutionenübergreifenden Team.
  • Die Leitung und das Team erarbeiten das Ganztagskonzept, in dem das Arrangement und die Verzahnung der verschiedenen ganztägigen Bildungsangebote verankert sind.
  • Die Mitglieder des Ganztagsteams entwickeln auch die Angebotskonzepte, in denen u. a. Ziele, Inhalte und Didaktik ausgeführt sind.
  • Diese Konzepte sowie eine gute Steuerung und Zusammenarbeit haben Einfluss auf die pädagogische Arbeit im Ganztag, die einerseits in einer guten Durchführung von Angeboten zum Ausdruck kommt.
  • Und andererseits eröffnen diese Konzepte und die pädagogische Arbeit die Möglichkeit, im Ganztag soziale Beziehungen positiv zu gestalten.

Praxisbeispiele für eine gute Ganztagsschule

Aber: Was diese Handlungsfelder konkret für die pädagogisch-praktische und administrative Arbeit bedeuten, das war bislang noch offen. Häufig sind wissenschaftliche Befunde so aufbereitet, dass sie nicht direkt für die Bildungsadministration und Bildungspraxis anwendbar sind. Umgekehrt gibt es Themen, die in der Praxis und Administration wichtig sind, die aber die Wissenschaft noch nicht aufgegriffen hat.

Deswegen hat das DIPF einen dialogischen Transformationsprozess der Befunde zum Ganztag initiiert: Beim Projekt „Wissenschaftsgeleiteter Qualitätsdialog zum Ganztag“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, fanden von Januar bis Mai 2021 insgesamt zwölf Dialogforen statt, an denen rund 290 Fachleute aus Forschung, Verwaltung und Praxis aus dem gesamten Bundesgebiet sowie Österreich und der Schweiz mitgewirkt haben. Ziel war es, die unterschiedlichen Perspektiven aus diesen drei Bereichen zusammenzubringen, zu reflektieren und konkretes Handlungswissen für einen guten Ganztag zu erarbeiten.

Anschließend wurden die Ergebnisse dieser Dialogforen vom Team des Qualitätsdialogs analysiert. Neben den wissenschaftlichen Inputs und den Praxisbeispielen fanden dabei auch die Anregungen und Diskussionsbeiträge der Mitwirkenden in den Dialogforen Beachtung. Das Ergebnis dieses Prozesses sind Handreichungen in Form einer sechsteiligen Broschüren-Reihe, die sich an den sechs oben genannten Handlungsfeldern orientieren.

Mehr zu den Handreichungen für die Ganztagsschule

Die positiven Effekte einer guten Zusammenarbeit in der Ganztagsschule

Auf die Handlungsfelder Zusammenarbeit, Ganztagskonzept und Angebotskonzept möchte ich hier näher eingehen:

Aus der Forschung wissen wir, dass eine gute Zusammenarbeit positive Effekte für Lehrkräfte mitbringt – sie fühlen sich zum Beispiel durch die Zusammenarbeit mit Mitarbeiter:innen weiterer pädagogischer Professionen entlastet. Zum einen braucht es Freiräume, um im gesamten Team Absprachen zu treffen, um vertieft über einzelne Herausforderungen zu sprechen und Lösungen zu entwickeln. Zum anderen sind Freiräume wichtig für gemeinsame Fortbildungen und informelle Treffen. Darüber hinaus haben die Dialogforen gezeigt, wie groß die Bedeutung eines gemeinsamen multiprofessionellen Bildungsverständnisses ist, um auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen mit unterschiedlichen Fachkompetenzen umfassend eingehen zu können. Rollen und Verantwortlichkeiten müssen entsprechend transparent gemacht und schriftlich festgehalten werden.

Eine hohe Bedeutung kommt auch der Netzwerkarbeit der Ganztagsschulen innerhalb der Region zu. Das erfordert ein gemeinsames Gremium, das die Zusammenarbeit im Sozialraum koordiniert, damit alle Angebote im Ganztag berücksichtigt werden können und diese Angebote somit auch die Alltagswelt der Kinder und Jugendlichen abbilden. Wichtig ist dafür eine regelmäßige Evaluation der Angebote.

Die Angebote müssen zum Konzept der Ganztagsschule passen

Grundlage für die Organisation des Ganztags muss ein nachhaltiges Ganztagskonzept sein. Für die Teilnahme am Ganztag ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche über Jahre hinweg an Angeboten partizipieren können. Wie die Dialogforen gezeigt haben, gilt es – gerade für Jugendliche in sozial herausfordernden Lagen – einen Ort zu schaffen, an dem die jungen Leute mit ihren Peers sein können, ihren Interessen nachgehen und etwas lernen können.

In der Handreichung zum Ganztagskonzept zeigen wir hierfür unterschiedliche Wege: beispielsweise den Ganztag in Lernfamilien oder einen Ganztag, bei dem die Kinder die Angebote täglich frei wählen können und damit eine freie Zeiteinteilung möglich ist. Die Schulen müssen ermitteln, welche Bedürfnisse bei den jeweiligen Kindern und Jugendlichen im Zentrum stehen und wie der Ganztag passgenau gestaltet werden kann.

Interessen der Schüler:innen aufgreifen

Neben einem nachhaltigen Ganztagskonzept ist auch die Konzeption des einzelnen Angebots wichtig. Aus dem Qualitätsdialog wissen wir, dass es für die Planung eines konkreten Angebots entscheidend ist, die Kinder und Jugendlichen mit ihren Interessen und Bedürfnissen in den Blick zu nehmen. Wenn etwa bestimmte Kompetenzen durch ein Angebot im außerunterrichtlichen Bereich gestärkt werden sollen, müssen inhaltliche und didaktische Aspekte entsprechend konzipiert sein.

Bei einem guten Angebot sind die Ziele klar definiert, es ist gut geplant, es zeichnet sich durch wirksame Methoden und Inhalte aus, arbeitet mit passenden und ansprechenden Materialien und bietet Kindern und Jugendlichen positive Erfahrungen. Wichtig ist auch, dass das Team im Ganztag die Lernumgebungen bei einem individualisierten Angebotskonzept entsprechend den Bedürfnissen der Lernenden anpassen kann.

Auch die Evaluation eines Angebots sollte von vornherein eingeplant werden, um die Angebote und das Ganztagskonzept kontinuierlich weiterzuentwickeln. Selbstverständlich muss das Team die Angebote nicht alle neu entwickeln – es gibt schon eine Reihe von guten Konzepten, die sich an den jeweiligen Kontext adaptieren lassen.

Zur Person

  • Amina Kielblock ist seit 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Bildungsstrukturen und Reformen beim DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main.
  • Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel und an der Justus-Liebig-Universität Gießen, u. a. im vom Bundesbildungsministerium geförderten Projekt „Gießener Offensive Lehrerbildung“ (GOL).
  • Sie studierte Außerschulische Bildung und Empirische Bildungsforschung an den Universitäten Gießen und Kassel.
Amina Kielblock
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