Expertenstimme

Lehrerarbeitszeit : Wie Dänemark die Arbeitszeit von Lehrkräften regelt

Die Lehrerarbeitszeit wird in Deutschland nach den Unterrichtsstunden berechnet. Die machen heute aber nur gut ein Drittel der tatsächlichen Arbeitszeit von Lehrerinnen und Lehrern aus. Unser Gastautor Werner Klein hält daher eine Regelung, die alle Arbeitsaufgaben der Lehrkräfte angemessen berücksichtigt, für überfällig. Alternative Modelle gebe es, schreibt er in seinem Gastbeitrag – zum Beispiel im Nachbarland Dänemark. Statt einer pauschalen Deputatsregelung hat hier jede Lehrkraft einen individuellen Arbeitsplan.

Werner Klein
Berliner Weltzeituhr Arbeitsplan für Lehrer
Anders als Deutschland haben sich viele andere Länder inzwischen vom Deputatsmodell Verabschiedet und andere Wege entwickelt, um Die Lehrerarbeitszeit zu regeln.
©Alamy

Wer versucht, die Arbeitszeitregelung für Lehrkräfte in Deutschland zu reformieren, handelt sich mit großer Sicherheit erheblichen Ärger mit allen Beteiligten ein. Ansätze, pädagogisch sinnvolle, gerechte, transparente und gleichzeitig pragmatische Arbeitszeitregelungen für Lehrkräfte einzuführen, enden in der Regel in einem unversöhnlichen Streit: Lehrerinnen und Lehrer sehen ihre Arbeit ungerecht bewertet, Verbände befürchten Mehrarbeit durch die Hintertür, Ministerien finanzielle Mehraufwendungen für die Landeshaushalte.

Im unbefriedigenden Ergebnis bleibt seit vielen Jahren alles beim Alten. Nach wie vor gilt, mit Ausnahme von Hamburg, die Deputatsregelung, das heißt, die Lehrerarbeitszeit bezieht sich auf den zu erteilenden wöchentlichen Unterricht. Dabei sind sich alle Beteiligten grundsätzlich darin einig, dass dieses Modell immer weniger dazu geeignet ist, sinnvolle Rahmenbedingungen für die sich verändernden Aufgaben von Lehrkräften zu setzen.

Unterricht macht nur 35 Prozent der Arbeitszeit aus

Die tägliche Praxis von Lehrerinnen und Lehrern belegt dies genauso wie verschiedene wissenschaftliche Studien, zum Beispiel die Göttinger Arbeitszeitstudie von 2015/16. Demnach umfasst der eigentliche Unterricht heute im Durchschnitt nur noch 35 Prozent der Arbeitszeit. Hinzu kommen Unterrichtsvorbereitungen und Korrekturen sowie außerunterrichtliche Aufgaben wie besondere Funktionen, Konferenzen, pädagogische Gespräche, Fahrten, Veranstaltungen, Fort- und Weiterbildung, die immer weiter zunehmen.

Eine sinnvolle Regelung der Lehrerarbeitszeit mit einer angemessenen Berücksichtigung und Bewertung aller Arbeitsbereiche und Aufgaben ist überfällig.

Dieser überwiegende Anteil der Arbeitsaufgaben von Lehrkräften in Deutschland bleibt aber ungeregelt, damit nicht selten auch unterbewertet oder sogar ungesehen. Das hat nicht nur arbeitsrechtliche, sondern auch pädagogische Folgen. Denn mit der Definition der Lehrerarbeitszeit wird nicht nur festgelegt, was getan werden muss, sondern gleichzeitig auch, was scheinbar nicht oder nicht zentral zu den beruflichen Aufgaben gehört. Die Bemessung der Arbeitszeit allein durch die individuelle Zuweisung von Unterrichtsstunden steht damit kooperativen Arbeitsformen im Kollegium entgegen und fördert den immer noch weitverbreiteten Individualismus in den Kollegien deutscher Schulen.

Hinzu kommt, dass die tatsächliche Arbeitszeit und damit auch die Arbeitsbelastung von Lehrkräften durch eine Deputatsregelung verschleiert wird. Die Göttinger Arbeitszeitstudie zeigt, dass eine Mehrheit der Lehrkräfte (57 %) die gesetzte Arbeitszeit von wöchentlich 46,5 Stunden deutlich überschreitet und damit als gesundheitlich gefährdet gilt.

Eine sinnvolle Regelung der Lehrerarbeitszeit mit einer angemessenen Berücksichtigung und Bewertung aller Arbeitsbereiche und Aufgaben ist daher überfällig. Dazu gibt es auch eine Reihe praktikabler Empfehlungen, wie das Hamburger Modell oder die Entwicklung arbeitszeitrechtlicher Normen für Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitungen an niedersächsischen Schulen. Außerdem gibt es ermutigende Modellversuche, die belegen, dass sich durch die Einführung von Präsenzzeiten die Kooperation unter Lehrkräften intensivieren lässt.

Die meisten OECD-Staaten haben sich vom Deputatsmodell verabschiedet

Auch im internationalen Vergleich lässt sich die Entwicklung beobachten, dass die Unterrichtsstunden nur einen Teil der Arbeitszeit ausmachen. Laut dem aktuellen Bericht „Bildung auf einen Blick 2021“ (S. 469 ff.) verbringen Lehrkräfte in den OECD-Mitgliedsländern im Sekundarbereich I durchschnittlich 44 Prozent ihrer Gesamtarbeitszeit im Unterricht und verwenden den größeren Teil ihrer Arbeitszeit für andere Aufgaben.

Die meisten Staaten in der OECD haben sich inzwischen aber – anders als Deutschland – vom Deputatsmodell zur Bestimmung der Lehrerarbeitszeit verabschiedet und sehen stattdessen Vereinbarungen zu Jahres- oder Wochenarbeitszeiten vor. Dazu bietet das Nachbarland Dänemark anschauliche „Best Practice“.

In Dänemark werden alle Schülerinnen und Schüler, einschließlich der mit Behinderungen, von der 1. bis zur 9. Klasse an einer Folkeskole (integrierte Gesamtschule) gemeinsam unterrichtet, die mit landesweiten zentralen Prüfungen abgeschlossen wird. Es herrscht Unterrichtspflicht, aber keine Schulpflicht.

Etwa 20 Prozent aller Schulen sind Privatschulen, darunter auch die Schulen der deutschen Minderheit in Nordschleswig mit 13 Folkeskolen und einem sich anschließenden Gymnasium. Vom BiIdungsministerium in Kopenhagen werden die Lehrpläne mit den Abschlussprüfungen zentral vorgegeben, eine föderale Verantwortung für Schulen wie in Deutschland gibt es nicht. Öffentliche Schulen werden von den insgesamt 98 Kommunen getragen, die nicht nur für die sächliche Ausstattung, sondern für das gesamte Personal, darunter auch die Lehrkräfte als kommunale Angestellte, zuständig sind.

Unter allen Beteiligten besteht Konsens, die Arbeitszeit von Lehrerinnen mit allen wesentlichen Aufgaben transparent zu regeln.

Die grundsätzlichen Arbeitsregelungen für Lehrkräfte werden zwischen der Lehrergewerkschaft, der fast alle Lehrkräfte in Dänemark angehören, und dem Verband der Kommunen vereinbart. Im Auftrag der Gemeinde schließen die Schulleiterinnen und Schulleiter, die in der Regel nicht selbst unterrichten, alle Arbeitsverträge und sind für das Personal verantwortlich. Dabei verfügen sie im Rahmen der Haushaltsvorgaben über erhebliche Spielräume, die sich je nach Kommune unterscheiden. Eine landesweite Schulaufsicht durch das Ministerium in Kopenhagen gibt es nicht, sondern wird für die öffentlichen Schulen ebenfalls von den Kommunen wahrgenommen.

Zentrales Instrument für die Arbeitsregelung ist ein individueller Arbeitsplan

Unter allen Beteiligten besteht trotz zum Teil heftiger Kontroversen Konsens, die Arbeitszeit von Lehrerinnen mit allen wesentlichen Aufgaben transparent zu regeln. Dies gilt als wichtige Voraussetzung für eine verlässliche Kooperation unter den Lehrkräften mit einer möglichst hohen Arbeitszufriedenheit. Das zentrale Instrument dafür ist ein individueller Arbeitsplan, der auf Grundlage der jeweils geltenden Rahmenbedingungen im Mai/Juni jeweils für das neue Schuljahr zwischen jeder angestellten Lehrkraft und dem Schulleiter/der Schulleiterin unter Mitwirkung des Personalrats festgelegt wird.

Alle Vereinbarungen zur Bezahlung und zur Arbeitszeit sind im Arbeitsplan nach einem bestimmten Muster aufgeführt. Zur Aufgabenübersicht gehören neben der Anzahl der Klassen, Fächer und Unterrichtsstunden alle weiteren Aufgaben wie Vorbereitungen, Konferenzen, Teamtreffen, Gespräche und Fortbildungen. Dort ebenfalls aufgeführte besondere Funktionen und Aufgaben an der Schule werden durch zusätzliche Bezahlung oder weniger Unterrichtszeit ausgeglichen.

Die transparente Arbeitszeitregelung setzt Rahmenbedingungen, die den pädagogischen Erfordernissen, einer professionellen Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und der intensiven Kommunikation mit allen Beteiligten Rechnung tragen.

Die 2013 im Rahmen einer umstrittenen Schulreform von der dänischen Regierung durchgesetzte Regelung, dass alle Lehrkräfte von 8 bis 16 Uhr in der Schule präsent sein müssen, hat sich in der Praxis nicht bewährt. Auf diese Weise konnten abendliche Elternbesuche und weitere Aktivitäten außerhalb der Kernarbeitszeit nicht erfasst werden, oder sie fanden nicht statt. Auch die Qualität des Unterrichts hat sich dadurch offensichtlich nicht verbessert.

Arbeitsplan wird regelmäßig überprüft

Stattdessen haben Schulen mittlerweile, abhängig von der jeweiligen Kommune, verschiedene Möglichkeiten, um die gemeinsame Arbeit flexibel zu strukturieren. Dazu werden im Arbeitsplan feste Präsenzzeiten für Konferenzen, Teambesprechungen, Kommunikation und Kooperation mit externen Partnern ebenso aufgeführt wie Stunden (zum Beispiel 200 Jahresstunden), die Lehrkräfte im Rahmen ihrer Arbeitszeit zur freien Verfügung haben.

Alle drei Monate gleichen Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitung unter der Mitwirkung des Personalrats gemeinsam die Vorgaben des Arbeitsplans mit der tatsächlichen Arbeitsrealität ab, um im Falle von Abweichungen die Regelungen entsprechend zu modifizieren. Anfallende Überstunden werden durch einen besonderen Aufschlag vergütet.

Der Arbeitsplan einer jeden Lehrkraft fußt auf der Übereinkunft zwischen dem Verband der Kommunen und der Lehrergewerkschaft. Demnach beträgt die aktuelle jährliche Lehrerarbeitszeit 1694,6 Stunden (2020/21). Davon gelten zwischen 750 und 780 Stunden als reine Unterrichtszeit mit 25 bis 28 Unterrichtsstunden pro Woche an 200 Tagen im Jahr. Für Lehrerinnen und Lehrer gilt die 37-Stunden-Woche mit täglich 7,4 Arbeitsstunden. Die erste und letzte Woche der Sommerferien sowie ein Teil der Herbstferien gelten als verbindliche Arbeitszeit, die Lehrkräfte in der Regel in der Schule verbringen.

Es gibt keinen Faktor, um den unterschiedlichen Arbeitsaufwand von Lehrkräften je nach Fach zu berücksichtigen – nur für Förderlehrkräfte gilt eine besondere Funktionsnorm, die weniger Unterrichtszeit vorsieht, um mehr Betreuungszeit je Schülerin und Schüler sicherzustellen.

Im Unterricht ist häufig eine zweite Lehrkraft

Einzelkämpfertum ist formal möglich, wird aber mit wenigen Ausnahmen nicht praktiziert, da sich an den Schulen über eine lange Zeit eine Kultur der gemeinsamen Unterrichtsvorbereitung und des pädagogischen Austauschs herausgebildet hat. Unterstützt wird dies auch durch die häufige Doppelbesetzung im Unterricht. Dies geschieht zur Umsetzung der Inklusion, aber auch dann, wenn in einer Klasse mehr als 26 Schülerinnen und Schüler sind. Hinzu kommt, dass im Gegensatz zu den meisten Schulen in Deutschland jede Lehrkraft über einen in der Regel sehr gut ausgestatteten eigenen Arbeitsplatz mit allen technischen Erfordernissen an der Schule verfügt.

Die bestehenden Regelungen zur Lehrerarbeitszeit führen nicht dazu, dass sich alle Lehrkräfte „hygge“ fühlen, wie Streiks und Aussperrungen, die es zuletzt 2013 in Dänemark gab, zeigen. Aber die transparente Arbeitszeitregelung in Verbindung mit gut ausgestatteten Arbeitsplätzen setzt Rahmenbedingungen, die den pädagogischen Erfordernissen, einer professionellen Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und der intensiven Kommunikation mit allen Beteiligten offensichtlich Rechnung tragen.

Zur Person

  • Werner Klein leitete unter anderem beim Sekretariat der Kultusministerkonferenz in Berlin die Abteilung Qualitätssicherung, internationale und europäische Angelegenheiten und Statistik.
  • Zuvor arbeitete der Pädagoge im Bildungsministerium Schleswig-Holstein als Leiter des Referats Qualitätsentwicklung an Schulen und im Landesinstitut. Schwerpunkte seiner Arbeit sind systematische Schulentwicklung und Bildungsmonitoring.
  • Werner Klein war langjähriges Mitglied des Programmteams der Deutschen Schulakademie.