Expertenstimme

Auslandsschulen : Was deutsche Schulen von La Paz abschauen können

Deutsche Schulen stehen vor großen Herausforderungen. Um sie zu meistern, sind unter anderem interkulturelle Kompetenz, Flexibilität und Offenheit gefragt. Für Auslandsschulen ist das längst Alltag. Was Schulen in Deutschland von ihnen lernen können, beschreibt Schulportal-Kolumnist Michael Schratz am Beispiel des Colegio Alemán in La Paz. Die Schule hat in diesem Jahr den Deutschen Schulpreis gewonnen, und Michael Schratz hat sie besucht.

Michael Schratz
Kinder vor der Schule Mariscal Braun, Berge im Hintergrund
Auf 3400 Metern Höhe liegt die Deutsche Auslandsschule Mariscal Braun im bolivianischen La Paz.
©Robert Bosch Stiftung / Traube 47

Was können deutsche Schulen eigentlich von Auslandsschulen lernen? Diese Frage wurde mir oft gestellt, als das Colegio Alemán „Mariscal Braun“ im bolivianischen La Paz in diesem Jahr einen Deutschen Schulpreis gewonnen hat. Beantworten kann ich sie, seit sich die 140 Deutschen Auslandsschulen am Wettbewerb beteiligen und ich als Juror einige in Spanien, Südafrika, Brasilien, Peru und Bolivien erleben durfte. Vor allem sechs Bausteine sind es, auf die die Schulkultur in den Auslandsschulen aufbauen, wie das Beispiel der Deutschen Auslandsschule in La Paz zeigt.

Auf den Anfang kommt es an: An den Auslandsschulen wird eine enge Zusammenarbeit zwischen Kindergarten, Grundschule und Sekundarstufe gelebt. In der Vorschule wird das Fundament für die zweisprachige Bildung gelegt – nicht durch Vokabelpauken, sondern über Immersion, ein Sprachbad, in das die bolivianischen Kinder eintauchen, um den alltäglichen Umgang mit der deutschen Sprache und Kultur zu erlernen. Die Integration des Kindergartenpersonals in das Schulkollegium schafft zudem eine feste Vernetzung und erleichtert Übergänge.

Das Schulsystem unter einem Dach: In einer Auslandsschule bildet sich das ganze Schulsystem ab: Sie bietet für die heterogene Schülerschaft möglichst viele Abschlüsse unter einem Dach – von der Mittelstufe bis zum doppelstaatlich gültigen Abschluss der Sekundarstufe II, also zum bolivianischen Bachillerato und dem deutschen Abitur. Auch die berufliche Ausbildung, zum Beispiel zu Industriekaufleuten oder zu Kaufleuten im Groß- und Außenhandel, ist hier möglich.

Respekt als Kulturbaustein der Schule: Interkulturalität zieht sich in der Begegnung unterschiedlicher Kulturen durch alle Bildungsgänge und fördert gegenseitigen Respekt und Weltoffenheit. Dazu tragen vielfach auch extra-curriculare Angebote bei, dazu zählen Service Learning als gesellschaftliches Engagement, die Mitgliedschaft in Clubs oder die Beteiligung an Wettbewerben.

Schulleitungen haben an Auslandsschulen mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung.
Michael Schratz, Sprecher der Jury des Deutschen Schulpreises

Gelebte Autonomie wird von Verantwortung getragen: Schulleitungen haben an Auslandsschulen durch deren Status mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung, da sie aufgrund der unterschiedlichen politischen Systeme ständig eigene Entscheidungen treffen müssen. Der hierfür notwendige Einbezug aller Gremien stärkt die Identität, das Engagement und den Schulfrieden. Die Verbundenheit mit der Deutschen Schule spiegelt sich auch im Alumni-Netzwerk wider: Die Absolventinnen und Absolventen sind oft über die ganze Welt verteilt. Viele vertrauen ihre eigenen Kinder der Schule wieder an, nicht wenige arbeiten später selbst an der Schule.

Übergabemanagement und „Onboarding“: Im Gegensatz zu Schulen in Deutschland fällt die hohe Fluktuation im deutschsprachigen Kollegium der Auslandsschule auf, auch weil der Aufenthalt von Lehrkräften aus den 16 deutschen Bundesländern begrenzt ist. Dies erfordert ein ausgeprägtes Übergabemanagement. Eine wichtige Rolle spielen dabei Offenheit der Schulleitung in der Besetzung der Stellen und auch kluges „Onboarding“, also die Aufnahme der neuen Lehrerinnen und Lehrer. Es gibt zum Beispiel ein ABC für neue Mitarbeitende, Mentorensysteme und Transparenz im Intranet.

Mut und Lust auf Neues: Die Schulgemeinschaft einer Deutschen Auslandsschule lebt von Teamarbeit, Austausch und Kooperationen, überdies ist sie keinem Schulamt verpflichtet. Diese Autonomie wünschen sich viele Lehrkräfte und Schulleitungen in Deutschland. Informationen und weitere Anregungen bietet die Zentralstelle für das deutsche Auslandsschulwesen. Aber seien Sie vorgewarnt: Wer an eine  Auslandsschule geht, kommt als anderer Mensch zurück!

Mehr zum Thema

Wie genau die Methode der Immersion an der Deutsche Schule „Mariscal Braun“ La Paz funktioniert ist auch in dem Konzeptvideo „Mit Immersion zur Bilingualität” auf dem Schulportal zu sehen. Begleitend  zum Video gibt es Informationen und Konzept-Materialien der Schule zum Download.

Zur Person

  • Der österreichische Erziehungswissenschaftler und Schulpädagoge Michael Schratz ist Gründungsdekan der School of Education an der Universität Innsbruck.
  • In seiner Arbeit fokussiert sich Michael Schratz auf die Schulentwicklung und die Professionalisierung von Führungspersonen im Bildungsbereich.
  • Als hochkarätiger Experte aus der Wissenschaft ist er Mitglied der Jury des Deutschen Schulpreises und zugleich deren Sprecher.
  • Für Das Deutsche Schulportal schreibt Michael Schratz regelmäßig eine Kolumne und beobachtet dafür internationale Entwicklungen im Bildungssektor.