Hochschule : Wie gut gelingt die digitale Lehre an der Uni?

Während Schulen wieder den Regelbetrieb aufnehmen, wird das bevorstehende Wintersemester an den Hochschulen in großen Teilen weiter digital laufen. Kann das gut gehen? Im Interview mit dem Schulportal spricht Olaf Köller, Direktor des IPN – Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, über seine Erfahrungen im digitalen Sommersemester und darüber, was das für die Zukunft der Lehre bedeutet.

Viele Vorlesungen werden auch im bevorstehenden Wintersemester digital stattfinden.
©Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Schulportal: Die meisten Hochschulen planen für das Wintersemester ein Hybridsemester mit einer Mischung aus Präsenz und digitaler Lehre. Wie ist das Wintersemester bei Ihnen geplant?
Olaf Köller:
An der Universität Kiel werden alle Vorlesungen und Seminare, die sich digital durchführen lassen, weiter digital umgesetzt. Das gilt auch für Erstsemester. Bei Berücksichtigung der Hygieneregelung wären in den Räumen der Uni nur sehr wenig Menschen zugelassen. Der größte Hörsaal an der Universität Kiel dürfte mit der Abstandregel nur 88 Studierende aufnehmen. Massenveranstaltungen wie Informationsveranstaltungen für Erstsemesterstudierende könnten so unmöglich stattfinden – da müsste man schon in ein Fußballstadion gehen.

Wenn das Wintersemester weiterhin digital läuft, sind die Erfahrungen aus dem digitalen Sommersemester umso wichtiger. Wie hat die Umstellung auf die digitale Lehre bei Ihnen geklappt?
Wir hatten glücklicherweise etwas Vorlauf, da der Lockdown noch in die vorlesungsfreie Zeit fiel. Dadurch klappte die Umstellung relativ problemlos. Es gibt an der Universität Kiel ohnehin schon seit Jahren die Lehr- und Lernplattform OLAT, auf der Materialien für die Studierenden bereitgestellt werden und auf der auch der digitale Austausch stattfinden kann. Die Lehrenden können dabei ständig auf die Unterstützung der IT-Betreuer zurückgreifen. Es wurde an der Uni Kiel auch gleich am Anfang des Semesters ein datenschutzkonformes Videokonferenzsystem etabliert, mit dem sich Vorlesungen und Seminare mit normalen Teilnehmerzahlen gut realisieren lassen. Ab dem 6. April habe ich damit meine Vorlesungen in virtueller Präsenz abgehalten.

Einige Studierende haben in Umfragen angegeben, dass sie voraufgezeichnete Vorlesungen gegenüber Videokonferenzen bevorzugen, weil sie dort besser vor- und zurückgehen können. Wie ist Ihre Erfahrung damit?
Wir haben mit beiden Formaten experimentiert: Wir haben auch Videos von Vorlesungen hochgeladen und die Studierenden gebeten, sich diese anzusehen, um sich dann in der Videokonferenz darüber auszutauschen. Ich habe dieses Modell allerdings wieder aufgegeben, weil dabei die Interaktion eher verloren gegangen ist. Das heißt, die Studierenden schauten sich zwar das Video an, erschienen dann aber nicht mehr in der virtuellen Konferenz. Deshalb bin ich zu den digitalen Präsenzvorlesungen zurückgekehrt. Zur Vorbereitung werden Präsentationen oder andere Materialien zur Verfügung gestellt.

Ist es denn in einer synchronen digitalen Vorlesung mit 200 Teilnehmenden möglich, dass es zu Interaktionen wie Nachfragen kommt?
In der Vorlesung hat man ja ohnehin didaktische Formate, in denen man zwischendurch Fragen stellt oder Diskussionen anregt. Vieles davon kann man einfach auf die Videokonferenz übertragen.

Es wurde weniger Wissen abgefragt, sondern eher die Anwendung des Erlernten.

Wie ist es gelungen, Klausuren und Prüfungen digital durchzuführen?
Das ist interessanterweise sehr gut gelungen. Kurz vor dem Start des Klausurtermins werden auf der Plattform die Aufgaben hochgeladen, und die Studierenden können dann nach Ablauf der vorgegebenen Zeit ihre Ergebnisse einstellen. Natürlich kann man nicht überprüfen, ob die Studierenden nebenbei auf einem anderen Gerät die Ergebnisse googeln. Deshalb haben wir die Aufgabenformate verändert. Es wurde weniger Wissen abgefragt, sondern eher die Anwendung des Erlernten. Über das Videosystem konnten auch mündliche Prüfungen und Disputationen im Rahmen von Doktorarbeiten realisiert werden. Es gab aber auch Präsenzklausuren – dafür wurde extra ein großes Zelt aufgebaut.

Vielen Studierenden fehlten im digitalen Semester die Kontakte untereinander und auch zu den Lehrenden. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Für die Studienanfängerinnen und -anfänger war das sicher ein Problem. Nicht nur der Kontakt zu den Dozierenden fehlte ja, sondern auch jeglicher informelle Austausch, beim Mittagessen oder abends bei Partys. In Schleswig-Holstein gab es aber relativ früh schon Lockerungen. Das soziale Studentenleben hat sich schnell wieder entwickelt. Die sozialen Kontakte zwischen Lehrenden und Studierenden dagegen sind während des Lockdowns fast zum Erliegen gekommen. Einige Kolleginnen und Kollegen haben versucht, das mit digitalen Kaffeerunden oder ähnlichen Formaten aufzufangen.

Hat sich die Kooperation unter den Lehrenden im Digitalsemester verändert?
Da hat sich wenig verändert. Im Unterschied zu Schulen sind wir es an Hochschulen gewohnt, dass man sich nicht immer vor Ort trifft, sondern auch kollaborativ im Netz zusammenarbeitet, beispielsweise auch bei internationalen Kooperationen.

Präsenzphasen wechseln sich mit digitalen Phasen ab. Das wird sich durchsetzen.

Denken Sie, dass die Erfahrungen während der Pandemie die Hochschullehre langfristig verändern werden?
Ich denke, wir werden künftig viel stärker auf digitale Formate setzen. Gute professionelle Lehrende kombinieren schon länger digitale und analoge Angebote. Präsenzphasen wechseln sich mit digitalen Phasen ab. Das wird sich durchsetzen. Damit wird auch vieles einfacher, zum Beispiel in den berufsbegleitenden Studiengängen.

Dozentinnen und Dozenten haben in einem offenen Brief die Bedeutung der Präsenzlehre verteidigt und davor gewarnt, durch die Digitalisierung die Hochschule als Ort der Begegnung und des Austauschs aufzugeben. Wie stehen Sie dazu?
Ehrlich gesagt sehe ich diese Gefahr nicht. In Vorlesungen mit 700 Personen in einem Hörsaal findet auch kein Austausch statt. Und auch im virtuellen Raum können sich die Studierenden treffen. Gruppenarbeiten, Präsentationen – das alles ist digital möglich. Man kann sich dieser Entwicklung nicht verschließen. Ich halte nichts davon, die Lehre komplett zu digitalisieren, ich plädiere vielmehr für eine Kombination aus Präsenz- und Distanzlernen. Auch, um auf einen erneuten Lockdown besser vorbereitet zu sein.

In Sachen Digitalisierung sind die Hochschulen den Schulen einen Schritt voraus. Was können Schulen aus den Erfahrungen des Digitalsemesters von den Hochschulen für das neue Schuljahr mitnehmen?
Jede Schule braucht eine Cloud, darin enthalten ein Lernsystem, auf dem sich Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler treffen. Diese digitale Lehr- und Lernplattform ist eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg. Damit muss natürlich auch die Bereitstellung einer entsprechenden Infrastruktur verbunden sein. In Dänemark beispielsweise hat jede Lehrkraft einen Dienstrechner, Schülerinnen und Schüler bringen ihre eigenen Rechner mit in die Schule oder bekommen Leihgeräte gestellt. Darüber hinaus benötigen Schulen genauso wie die Universitäten IT-Administratoren – das kann nicht der Physiklehrer nebenbei übernehmen.

Stärker als an der Universität muss an den Schulen beim digitalen Lernen auch die Verbindlichkeit gewahrt werden.

Stärker als an der Universität muss an den Schulen beim digitalen Lernen auch die Verbindlichkeit gewahrt werden. Aus Erfahrungsberichten weiß ich, dass einige Schülerinnen und Schüler gar nicht im digitalen Lernraum erschienen sind – ohne dass Sanktionen folgten. Ich halte es für sehr wichtig, dass die Schulpflicht auch beim digitalen Lernen zu Hause durchgesetzt wird.

Zur Person

Porträt Olaf Köller vor Bücherwand
Bildungsforscher Olaf Köller vom IPN Kiel
©IPN
  • Olaf Köller ist seit 2009 Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des IPN – Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und leitet dort die Abteilung Erziehungswissenschaft und Pädagogische Psychologie.
  • Zuvor war er Gründungsdirektor des IQB – Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen und Professor für Empirische Bildungsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin.