AfD-Meldeportale : Was vom Pranger geblieben ist
Auf umstrittenen AfD-Meldeportalen sollen deutsche Schüler namentlich Missstände an Schulen oder „politisch inkorrekte“ Lehrer melden. Doch werden diese Plattformen überhaupt genutzt? Eine Zwischenbilanz nach einem Jahr.

Vor etwa einem Jahr gingen die ersten AfD-Meldeportale an den Start. Sie trugen Bezeichnungen wie „Lehrer-SOS“, „Neutrale Schule“ oder „Neutrale Lehrer“ und sollten Schüler dazu bewegen, unter Angabe ihres Namens, Nennung der Schule und sogar Einreichung von Beweisstücken „Missstände“ wie Unterrichtsausfall, Gewalt an der Schule, Mobbing, defekte Toiletten und „politisch inkorrekte Lehrer“ zu melden. Die AfD, so ihre Ankündigung, wollte sich dieser Beschwerden annehmen, sie prüfen und sie gegebenenfalls an die entsprechenden Schulbehörden weiterleiten. Der baden-württembergische AfD-Abgeordnete Stefan Räpple hatte sogar geplant, auf seiner eigenen Homepage die Namen von Lehrern mit Fehlverhalten zu veröffentlichen, das Wort vom „Pranger“ ging um. Doch dann kam es im Netzwerk des Abgeordneten zu einem angeblichen Hackerangriff, seitdem ist die Seite tot. Aus juristischer Sicht war das wohl auch besser für ihn.
Vehement wehrten sich im vergangenen Herbst Lehrerverbände, Schulaufsichtsbehörden und Kultusminister gegen die juristisch fragwürdige Aktion, zu einem flächendeckenden Verbot der Meldefunktion kam es zunächst aber nicht. Die Rechtslage erwies sich als unklar: In welcher Hinsicht handelte es sich um Verstöße gegen den Datenschutz, würden Kinder zu Taten verleitet, deren Folgen sie nicht absehen können? In diesen Fragen ist man inzwischen einen Schritt weiter, die Meldefunktion des AfD-Portals in Mecklenburg-Vorpommern wurde im September dieses Jahres vom Datenschutzbeauftragten des Landes, Heinz Müller, verboten, da sie gegen die Datenschutzgrundverordnung verstoße. Die Partei nahm das Formular aus dem Netz, reichte aber Klage ein. Müller weist im Gespräch mit dieser Zeitung darauf hin, dass dies nicht das erste Meldeportal-Verbot in Deutschland gewesen sei. Seine Kollegin Imke Sommer habe die Meldeseite in Bremen schon vor Monaten verboten, die AfD habe das Verbot dort allerdings nicht angefochten, weshalb der Fall nicht publik wurde.
Dessen ungeachtet gibt es auch ganz neue Meldeportale der AfD. Baden-Württemberg hat vor wenigen Tagen die Internetseite „Faire Schule“ freigeschaltet, in Rheinland-Pfalz und Bayern befindet sich Ähnliches seit längerem in Planung. Angeregt durch Mecklenburg-Vorpommern, forderte nun auch die Kultusministerin von Baden-Württemberg, Susanne Eisenmann (CDU), den für ihr Land zuständigen Datenschutzbeauftragten zum Verbot auf. Dieser erklärte sich allerdings für nicht zuständig, da das baden-württembergische Meldeportal ein Projekt der AfD-Fraktion sei, die der speziellen Datenschutzordnung des Landtags unterliege, wobei sich diese Parlamentsregeln zum Teil aber noch nicht auf dem Stand der Datenschutzgrundverordnung befinden.
Lehrer müssen Aufklärung darüber verlangen können
Heinz Müller, in dessen Zuständigkeitsbereich das in Mecklenburg-Vorpommern untersagte Meldeportal fiel, weil es von der Partei und nicht von der Landtagsfraktion geführt wird, erklärt sein Verbot so: „Mit einem solchen Portal wird ganz offenkundig der Zweck verfolgt, politisch unliebsame Meinungen zu sammeln, um sie dann einer wie auch immer gearteten Verwendung zuzuführen. Die Datenschutzgrundverordnung sagt aber in Artikel 9, dass es einige Kategorien von personenbezogenen Daten gibt, die ganz besonders geschützt sind, dazu gehören zum Beispiel Gesundheitsdaten und solche, die die politische Meinung betreffen. Entsprechende Erhebungen sind datenschutzrechtlich nur unter besonderen Voraussetzungen, die hier nicht gegeben sind, zulässig.“
Jene Meldeportale, die von einer AfD-Fraktion betreut werden, profitieren hingegen bislang von einer bestehenden Rechtsunsicherheit, deren Beseitigung in Baden-Württemberg jetzt vehement gefordert wird, zumal sich dort auch die Landtagsverwaltung für die Datenschutzbelange des entsprechenden Portals nicht zuständig fühlt, das sei Sache der Fraktionen. Bei der nächsten Präsidiumssitzung des Landtags soll die Angelegenheit besprochen werden. Auch in Hamburg wird, wie Schulsenator Ties Rabe (SPD) gegenüber dieser Zeitung erklärte, ein Verbot geprüft. Dabei ist leicht nachzuvollziehen, dass Lehrer Aufklärung darüber verlangen können müssen, ob ihre Daten von der AfD im Zusammenhang mit Schülerbeschwerden gespeichert und ihre Namen auf wie auch immer gearteten Listen geführt werden.
Viel Spam und Jux
Trotz anderslautender Einschätzungen zahlreicher AfD-Landesverbände ist aber auch klar, dass die Schüler-Meldeportale kaum noch als ernstzunehmende Bedrohung des Schulfriedens wahrgenommen werden. Die AfD weist darauf hin, dass man eine wichtige Debatte über politische Meinungsvielfalt in Schulen eröffnet habe. Die Absicht der Partei dürfte aber ursprünglich eine andere gewesen sein. Denn die erklärte Motivation der AfD war ja, gegen die von ihr vermutete einseitige politische Beeinflussung der Schüler durch manche Lehrer vorzugehen. Das Ergebnis spielt der Partei nun keinesfalls in die Hände. Denn maßgeblich für die Neutralität an deutschen Schulen ist, wie sehr schnell in Erinnerung gerufen wurde, der sogenannte Beutelsbacher Konsens aus dem Jahr 1976, der Prinzipien für den Politikunterricht festlegt und von Lehrern eben nicht eine Zurückhaltung in politischen Fragen verlangt, sondern ein „Überwältigungsverbot“, ausspricht, ansonsten aber durchaus kontroverse, meinungsstarke Diskussionen von ihnen fordert.
Entsprechend dürftig sieht die Bilanz der AfD-Meldeportale nach einem Jahr aus. So gingen in Berlin zwar fast siebentausend Meldungen ein, doch das meiste erwies sich als Nonsens. Nach Angaben der Fraktion kam es zu „15 Problemlösungen durch Kontakte zu Betroffenen“. Die Senatsverwaltung für Bildung erklärt, es sei zu keiner einzigen Dienstaufsichtsbeschwerde gekommen, was einer Trefferquote von null Prozent entspräche. Auch bei den regionalen Schulaufsichten habe es keinerlei relevante Meldungen im Zuge der Portal-Aktion gegeben. Ähnlich verhält es sich in Sachsen-Anhalt. In einem Medienbericht ist dort von mehreren tausend Meldungen die Rede, auch darunter viel Spam und Jux. Einem Prozent sei die Partei nachgegangen. Das Landesschulamt erklärt auf Anfrage, man habe keine einzige Beschwerde mit Portal-Bezug seitens der AfD erhalten.
Besonders zufrieden zeigt sich die AfD in Hamburg. Dort erklärte der schulpolitische Sprecher der Bürgerschaftsfraktion, es habe 120 ernstzunehmende Hinweise gegeben, die zu 22 parlamentarischen Anfragen und acht Dienstaufsichtsbeschwerden geführt hätten. Die Hamburger Schulaufsicht bestätigt sieben Fälle, die gerade untersucht würden. Die vergleichbare Behörde in Sachsen spricht von keinem einzigen Hinweis auf Grundlage des dortigen Meldeportals, vier ältere Vorwürfe hätten sich als haltlos erwiesen, Niedersachsens Schulaufsicht nennt in einem Medienbericht drei Beschwerden und kein einziges zu ahndendes Fehlverhalten, Brandenburg meldet keine einzige Anzeige.
Da das Saarland, Schleswig-Holstein, NRW und Thüringen sich von Anfang an gegen ein Schüler-Meldeportal ausgesprochen hatten, kann man festhalten: Deutsche Schulen erweisen sich nach dieser Erhebung zu mehr als 99 Prozent neutral. Über diesen Wert würde jeder Online-Händler frohlocken. Der Spielraum, den Lehrer bei politischen Meinungsäußerungen haben, ist vielen erst durch die AfD-Aktion bewusst geworden und wird nun wohl verstärkt gezielt ausgeschöpft.
Glücklich das Land, das solch weltanschaulich unangreifbare Bildungseinrichtungen besitzt. Das ist eine gute Grundlage, um all die dringenden Probleme an deutschen Schulen zu lösen, zu denen an erster Stelle die von der OECD angemahnte verbesserte Integration von Migrantenkindern gehört.