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Online-Unterricht : Vielen Schülern fehlen digitale Kompetenzen

In den vergangenen Wochen haben Lehrkräfte in rasender Geschwindigkeit den Einsatz digitaler Medien für den Fernunterricht vorangetrieben. Aber besitzen die Schülerinnen und Schüler überhaupt die Kompetenzen, mit den digitalen Medien so umzugehen, dass sie davon auch profitieren können? Der achte nationale Bildungsbericht 2020 gibt Aufschluss darüber.

Bisher wurde in Umfragen zur Corona-Krise vor allem danach gefragt, in welchem Maße Lehrkräfte während des Fernunterrichts digitale Medien einsetzen. Nicht weniger bedeutsam ist jedoch auch die Frage, ob die Schülerinnen und Schüler überhaupt die Fähigkeiten besitzen, souverän mit digitalen Medien zu arbeiten. Können sie wahre von falschen Informationen im Internet unterscheiden? Können sie eine E-Mail schreiben und ein sicheres Passwort anlegen? Oder schaffen sie es, zu einer bestimmten Frage passende Erklärvideos auf YouTube zu finden? Die digitalen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler sind entscheidend, wenn es darum geht, wie erfolgreich Online-Unterricht sein kann.

Bislang fehlt es an einer überzeugenden und abgestimmten Strategie für die Bildung in einer digitalisierten Welt.
Kai Maaz vom DIPF I Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Zuletzt lenkte der im Juni veröffentlichte achte nationale Bildungsbericht 2020 den Blick auf diese Fragen. Der Bericht bezieht sich zwar auf Daten, die noch vor der Corona-Krise erfasst wurden, er gibt aber dennoch einen Überblick darüber, wo Deutschland in der digitalen Bildung steht. „Bildungseinrichtungen sind stärker denn je gefordert, digitale Kompetenzen zu vermitteln, und immer mehr Lehrende und Lernende nutzen die flexiblen Einsatzmöglichkeiten der digitalen Medien – ein Trend, den die Corona-Pandemie intensiviert“, sagte Kai Maaz, Geschäftsführender Direktor des DIPF I Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation und Sprecher der Autorengruppe des Berichts. Allerdings bilanzierte Maaz auch: „Bislang fehlt es an einer überzeugenden und abgestimmten Strategie für die Bildung in einer digitalisierten Welt.“

Digitale Medien gehören zum Alltag der Jugendlichen

Wie nötig eine solche Strategie ist, zeigen zahlreiche Studien, die im nationalen Bildungsbericht zusammengefasst werden. Die Nutzung digitaler Medien ist demnach für Schülerinnen und Schüler außerhalb der Schule zwar Normalität, doch die digitalen Kompetenzen zum Umgang mit den Medien sind oft nur rudimentär.

In der „International Computer and Information Literacy Study“ (ICILS) wurden 2018 unter anderem die computerbezogenen Kompetenzen der 14-Jährigen getestet. Dabei ging es zum Beispiel darum, wie Informationen gefiltert, verifiziert und kommuniziert werden und ob die Jugendlichen in der Lage sind, ein sicheres Passwort anzulegen oder den Rechner vor Viren zu schützen. 33,4 Prozent der getesteten Achtklässlerinnen und Achtklässler erreichten hier nur die beiden unteren von insgesamt fünf Kompetenzstufen.

Eine ganze Schülergruppe kann die Informationen im Internet nicht ausreichend reflektieren.
Birgit Eickelmann von der Universität Paderborn

Das heißt, sie waren zwar in der Lage, einen Link im Browser zu öffnen, scheiterten aber, wenn es zum Beispiel darum geht, die Glaubwürdigkeit der Information zu überprüfen. „Eine ganze Schülergruppe kann die Informationen im Internet nicht ausreichend reflektieren“, sagte dazu die Leiterin der Studie in Deutschland, Birgit Eickelmann von der Universität Paderborn, dem Schulportal. Vor allem Jungen sowie Schülerinnen und Schüler aus Familien mit niedrigem sozialen Status erreichten nur geringe Kompetenzen. Insofern könnte der Einsatz digitaler Medien beim Lernen Bildungsungerechtigkeiten weiter verstärken. Aber auch in der Leistungsspitze sah es nicht besonders gut aus: Nur zwei Prozent der Achtklässlerinnen und Achtklässler erreichten in Deutschland die höchsten Kompetenzstufen.

Auch Studierende haben oft unzureichende Digitalkompetenzen

Und die mangelhaften Digitalkompetenzen setzten sich in den Lernbiografien fort: Verschiedene Studien zeigten laut Bildungsbericht, dass auch ein beträchtlicher Teil von Auszubildenden, Studierenden und Beschäftigten angibt, nur über geringe digitale Kompetenzen zu verfügen. Analysen des Nationalen Bildungspanels zufolge erreichte etwa ein Fünftel der Studierenden am Ende der Schulzeit nicht das Basisniveau, das bei Studienbeginn vorliegen sollte. Auch nach einigen Studienjahren bleiben immer noch viele Studierende unter dem Niveau, das für ein fortgeschrittenes Studium eigentlich erforderlich wäre. Nicht nur in der Schule, auch in anderen Bildungsetappen ist also die Vermittlung von Medienkompetenz gefragt.

Computerbezogene Fähigkeiten eignen sich die Schülerinnen und Schüler aber größtenteils zu Hause selbst an. Eltern sind dabei nur eine eingeschränkte Hilfe, denn sie können oft selbst nicht souverän mit digitalen Medien umgehen. Betrachtet man im Bildungsbericht die Bevölkerung zwischen 16 und 65 Jahren, erreichten auch hier 26 Prozent nur die geringsten Kompetenzstufen.

2017 einigte sich die Kultusministerkonferenz (KMK) auf ein gemeinsames Kompetenzstufenmodell für die „Bildung in der digitalen Welt“. Doch das scheitert häufig schon an der Verfügbarkeit von WLAN. Hinzu kommt, dass viele Lehrerinnen und Lehrer selbst unsicher sind, wenn es etwa darum geht, Fake News von verlässlichen Informationen zu unterscheiden.

In der Ausbildung der Lehrkräfte spielen digitale Inhalte nur eine geringe Rolle

In der Ausbildung der Lehrkräfte spielten laut Bildungsbericht digitale Inhalte bisher kaum eine Rolle. So hätten bislang nur fünf Bundesländer einheitliche Vorgaben erlassen, dass im Lehramtsstudium für den Primar- und den Sekundarbereich I Veranstaltungen zum Erwerb von Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien verpflichtend anzubieten sind. Allerdings gebe es in den meisten Ländern Bestrebungen, entsprechende Fortbildungen anzubieten. Im Hochschul- und Weiterbildungsbereich seien die Dozentinnen und Dozenten komplett auf das Selbststudium oder auf den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen angewiesen.

Umstritten ist unter den Expertinnen und Experten die Frage, ob bereits in der frühkindlichen Bildung digitale Kompetenzen vermittelt werden sollten. Fakt sei, dass auch viele Kleinkinder bereits Berührungen mit digitalen Medien in den Familien haben, dennoch spreche sich die überwiegende Mehrheit in der Wissenschaft laut Bildungsbericht dafür aus, die Medienkompetenzen erst in der Schule auf den Plan zu nehmen, heißt es in dem Bericht.

Mit den Ergebnissen des Berichts werden sich nun die Kultusministerien der Länder intensiv auseinandersetzen und ihre Schlüsse ziehen. Die KMK-Präsidentin und rheinland-pfälzische Kultusministerin Stefanie Hubig (SPD) bezeichnete die Ergebnisse in Bezug auf die digitale Bildung als „einen Weckruf für uns alle“.

Auf einen Blick

  • Der nationale Bildungsbericht ist ein Bestandteil des Bildungsmonitorings hierzulande. Er informiert alle zwei Jahre über den Stand des Bildungssystems in Deutschland und nimmt dabei sämtliche Bereiche von der Kita bis zur Weiterbildung im Erwachsenenalter in den Blick.
  • Im Frühjahr 2004 hatten sich Bund und Länder auf eine solche Bestandsaufnahme geeinigt, um sie als Grundlage für die öffentliche Diskussion und für politische Entscheidungen zu nutzen.
  • Erstellt wird der Bildungsbericht von unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, unter Federführung des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation.
  • Im Juni erschien der achte nationale Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2020“ mit einer Schwerpunktanalyse zum Thema „Bildung in einer digitalisierten Welt“.