Turbo-Abitur : Leistungsstarke profitieren von der G8-Reform

Die G8-Reform zur Verkürzung der Gymnasialschulzeit ist umstritten. Eine neue Studie hat nun den Effekt auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler gemessen.

Die Abiturnoten fallen einer Studie des DIW Berlin zufolge nach der G8-Reform minimal schlechter aus.
Die Abiturnoten fallen einer Studie des DIW Berlin zufolge nach der G8-Reform minimal schlechter aus.
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Dank G8-Reform fallen PISA-Ergebnisse etwas besser aus

Seit 2001 haben viele Bundesländer die Schulzeit bis zum Abitur von 13 auf 12 Jahre reduziert. Seither wird heftig über die sogenannte G8-Reform am Gymnasium gestritten. Einige Länder gehen inzwischen wieder zurück zu einer 13-jährigen Schul­zeit bis zum Abitur. Andere stellen es den Schulen frei, ob sie ihre Schüler­innen und Schüler in 12 oder 13 Jahren zum Abitur führen. Eine Studie hat nun untersucht, wie sich die Verkürzung der Schulzeit am Gymnasium auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler auswirkt.

Das Ergebnis: Die viel diskutierte Dauer der Schulzeit beeinflusst den Lernerfolg nur gering. Für die im März 2018 veröffentlichte Studie hatte ein Forscherteam des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) und des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) die Leistungen von 33.000 Schülerinnen und Schülern am Gymnasium untersucht. Als Datengrundlage nutzten sie die Ergebnisse der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler in den PISA-Tests. Die Analyse zeigte, dass die Jugendlichen nach der G8-Reform in der neunten Klasse bei den PISA-Tests etwas besser abschnitten.

Das überrascht nicht so sehr, denn der Wegfall des 13. Schuljahrs wird mit zusätzlichen Unter­richts­stunden in den fünften bis neunten Klassen kompensiert. Im Bundesdurchschnitt haben die Schülerinnen und Schüler dadurch zwei Unterrichtsstunden mehr pro Woche. Die Stunden werden genutzt, um Lernstoff, der sonst erst nach der neunten Klasse auf dem Plan stand, vorzuziehen.

Im Schnitt haben sich die PISA-Werte der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler damit um fünf bis sechs Punkte verbessert. Aber nicht alle Lernenden profitierten. Laut Studie kamen leistungsstärkere Kinder und Jugendliche mit dem zusätzlichen Stoff besser zurecht. „Die Leistungsstärkeren konnten das eher verdauen und haben schon vorher Kompetenzen erworben, die für den Erwerb weiterer Kompetenzen notwendig sind“, sagte Jan Marcus, Bildungsökonom am DIW. Das sei bei den leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern offenbar nicht der Fall. Diese schienen mit der längeren wöchentlichen Unterrichtszeit und dem vorgezogenen Lernstoff eher Probleme zu haben, sagte der Bildungsforscher.

In der Platzierung von Deutschland im PISA-Ranking machten sich die Effekte der G8-Reform laut Studie allerdings kaum bemerkbar, da nur gut ein Drittel der getesteten Neuntklässlerinnen und Neuntklässler ein Gymnasium besuchen.

Abiturnoten fallen nach zwölf Jahren minimal schlechter aus

Von noch größerem Interesse als das PISA-Ranking dürfte allerdings sein, wie die Schülerinnen und Schüler am Ende der zwölfjährigen Gymnasialzeit abschneiden. Da für die PISA-Studie nur 15-Jährige getestet werden, hat das Autorenteam die Abiturnoten analysiert.

Insgesamt sollte der Fokus der öffentlichen Debatte weniger auf der Länge der Schulzeit liegen, sondern vielmehr auf Unterrichtsinhalten und Unterrichtsqualität.
Jan Marcus, Bildungsforscher am DIW Berlin

Der Befund der Studie relativiert den positiven Effekt bei den PISA-Tests geringfügig. Während die Schülerinnen und Schüler in den neunten Klassen im Durchschnitt etwas bessere Ergebnisse hatten, fielen die Abiturnoten am Ende im Durchschnitt um 0,04 Notenpunkte schlechter aus. „Der Kompetenzvorsprung reicht offenbar nicht aus, um das wegfallende Schuljahr vollständig zu kompensieren“, erklärte Bildungsökonom Jan Marcus. Allerdings fällt der Effekt insgesamt so gering aus, dass Schülerinnen und Schüler nach 12 Jahren durchaus ein vergleichbares Niveau erreichen wie nach 13 Jahren.

Eine Empfehlung zur Abkehr von G8 leiten die Autorinnen und Autoren deshalb aus der Studie nicht ab. „Insgesamt sollte der Fokus der öffentlichen Debatte weniger auf der Länge der Schulzeit liegen, sondern vielmehr auf Unterrichtsinhalten und Unterrichtsqualität“, sagte Marcus. Letztlich gehe es darum, die Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern. Sinnvoll sei auch der Ausbau des Ganztags am Gymnasium. Dadurch könnten leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler zum Beispiel verstärkt Hilfe bei den Hausaufgaben bekommen.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam bereits im vergangenen Jahr eine Analyse im Auftrag der Stiftung Mercator, in dem die Daten aller belastbaren Studien zur Schulzeitverkürzung am Gymnasium ausgewertet und um eigene Daten ergänzt wurden. Bildungsforscher Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik an der Universität Kiel (IPN) und Autor der Studie, konstatierte darin, dass sich „keine konsistenten Unterschiede zwischen G8- und G9-Abiturienten“ nachweisen ließen. Allerdings ließen sich auch keine großen positiven Effekte der Reform nachweisen.