Ländervergleich : Quereinstieg: Große Länderunterschiede
Bis 2030 werden laut Prognosen die Schulen in Deutschland mit einem Mangel an ausgebildeten Lehrkräften konfrontiert sein. Viele Bundesländer greifen bereits heute auf Bewerberinnen und Bewerber aus dem Quer- beziehungsweise Seiteneinstieg zurück, um die Unterrichtsversorgung sicherzustellen. Doch die Unterschiede sind groß. Während in einigen Bundesländern fast jede zweite neueingestellte Lehrkraft nicht voll ausgebildet ist, können andere Bundesländer ihren Bedarf vollständig mit qualifizierten Fachkräften decken. Eine Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, wie hoch der Anteil von Quer- und Seiteneinstieg bei den Neueinstellungen in den einzelnen Bundesländern im Schuljahr 2017/18 war. Die Untersuchung gibt auch einen Blick darauf, wie sich der Bedarf an Lehrkräften entwickelt.

Der durchschnittliche Anteil der Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger unter den neu eingestellten Lehrkräften lag im Schuljahr 2017/18 bei 12 Prozent. Das ist das Ergebnis, das der Bildungsforscher Klaus Klemm in seiner Untersuchung für das „Netzwerk Bildung“ ermittelt hat. Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichte Studie zeigt dabei ein sehr uneinheitliches Bild in den Ländern.
Demnach wurden im Jahr 2017/18 bundesweit 34.281 Lehrkräfte eingestellt, davon kamen 4.367 über den Seiten- oder Quereinstieg an Schulen. Das ergibt eine durchschnittliche Quote von 12,7 Prozent. Die Unterschiede in den einzelnen Bundesländern waren jedoch extrem groß.
In Sachsen war die Quote des Quereinstiegs mit 46,6 Prozent aller Neueinstellungen am höchsten, gefolgt von Berlin mit einem Anteil von 41,5 Prozent. Bayern, Saarland und Hessen hingegen mussten nicht eine einzige Stelle über den Quereinstieg besetzen.
Die absolut gesehen geringste Anzahl an Neueinstellungen gab es im Saarland. Dort wurden 357 neue Lehrkräfte eingestellt, darunter keine Lehrkräfte aus dem Seiteneinstieg. Die größte Zahl an Neueinstellungen für das Lehramt gab es in Nordrhein-Westfalen. In dem bevölkerungsreichsten Bundesland wurden 7.652 Fachkräfte eingestellt, der Anteil der Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger belief sich auf 789. Das entspricht einer Quote von 10,3 Prozent.

Pensionierungswelle hat Berlin stark getroffen
Diese Zahlen gewinnen zusätzliches Gewicht, wenn die Pro-Kopf-Relation der eingestellten Lehrkräfte in den jeweiligen Ländern mit der Anzahl der Einwohner verglichen wird: In Niedersachsen beispielsweise, wo fast acht Millionen Menschen leben, wurden im untersuchten Zeitraum 3.501 Lehrkräfte eingestellt, davon 586 Seiteneinsteiger. Das ergibt eine Quote von 16,7 Prozent.
In Berlin (Pro-Kopf-Faktor 1,18) mussten fast genauso viele Lehrerstellen an Schulen neu besetzt werden wie in Niedersachsen (Faktor 2,27), obwohl hier nicht einmal halb so viele Menschen leben. Aufgrund wachsender Kinderzahlen und einer Pensionierungswelle ist in Berlin eine riesige Personallücke entstanden. Insgesamt wurden in der Hauptstadt mit ihren 3,6 Millionen Einwohnern alleine 2017/18 insgesamt 3.047 Lehrkräfte eingestellt. Davon waren 41,5 Prozent Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. Die Hansestadt Hamburg (Faktor 1,8) hingegen mit 1,8 Millionen Einwohnern hat nur 951 Lehrkräfte eingestellt, also pro-Kopf gerechnet etwa ein Drittel weniger Lehrkräfte als Berlin. Und in Hamburg waren nur 2,9 Prozent (28 Personen) Seiteneinsteiger oder Seiteneinsteigerinnen.
Diese Zahlen zeigen, dass die beiden Millionenstädte Berlin und Hamburg 2017/18 pro Einwohner gerechnet mehr Lehrkräfte neu eingestellt haben als etwa Niedersachsen. Berlin hat aber zur Deckung des Lehrkräftebedarfs sehr viel stärker auf den Seiteneinstieg setzen müssen als Hamburg. Es stellt sich die Frage, warum das so ist. Hat Hamburg besser geplant oder spielen andere Faktoren eine Rolle?
Eine einfache Antwort für die Unterschiedlichen Zahlen gibt es vermutlich nicht, stattdessen spielen wohl diverse Aspekte eine Rolle. Einen Einfluss könnten unterschiedliche Gehälter in den Ländern oder auch eine unterschiedliche Attraktivität der Standorte haben, im Falle Berlins etwa auch, dass das Land als einziges nicht mehr verbeamtet. Das bedeutet für die Lehrkräfte einen erheblichen Nachteil in der Gehaltshöhe und der Altersversorgung gegenüber allen anderen Ländern. Eine Rolle spielt möglicherweise auch, ob die Zahl der angebotenen Studienplätze in der Lehramtsausbildung in den Ländern im gleichen Tempo gewachsen ist wie der Bedarf.
Bedarfslücke kann weiterhin nicht geschlossen werden
Klemm betont, dass viele Bundesländer auch in den kommenden Jahren ihren Bedarf an Lehrkräften nicht durch die ausgebildeten Lehrkräfte decken können. Für den Zeitraum 2018 bis 2030 rechnet die Kultusministerkonferenz KMK mit einem durchschnittlichen jährlichen Einstellungsbedarf von knapp 31.900 Lehrerinnen und Lehrern. Dem stehe ein jährliches Angebot von 31.200 Absolventinnen und Absolventen des Vorbereitungsdienstes gegenüber. Dabei nimmt der Mangel im Laufe der Jahre ab. Die Lücke im kommenden Schuljahr wird erneut groß sein.
In ihren momentanen Prognosen für das Schuljahr 2020/21 geht die KMK davon aus, dass bundesweit alleine für die Primarstufe 2.150 qualifizierte Lehrkräfte fehlen werden; im stufenübergreifenden Lehramt Primarstufe/Sekundarstufe I sind es 900 qualifizierte Lehrkräfte. Bei der Sekundarstufe I gibt es voraussichtlich ein Manko von 2.320 Fachkräften, bei den Förderschulen 940 und in der Sekundarstufe II (Berufsbildende Schulen) weitere 370. Lediglich im Bereich der Sekundarstufe II (Allgemeinbildende Schulen) wird ein Überschuss erwartet. Er wird etwa bei 3.250 Lehrkräften liegen. Diese Zahlen sind aber nicht final, denn für Sachsen liegen keine Prognosewerte vor.
Klemm beurteilt die Prognose der KMK sogar als zu optimistisch, denn die von ihr im selben Zuge vorausgesagten jährlichen Steigerungen der Absolventenzahlen für die verschiedenen Lehramtsbefähigungen seien nicht durch aktuelle Zahlen gedeckt. Im Gegenteil: Die Zahl derer, die die erste Lehramtsprüfung zuletzt bestanden hätten, liege für bestimmte Lehramtsbefähigungen signifikant unter der prognostizierten Zahl an neu ausgebildeten Lehrkräften.
Bisheriges Engagement der Länder reicht nicht aus
Zudem seien bei den jahresbezogenen Bilanzzahlen der KMK die unbesetzten Lehrerstellen der vorherigen Jahre nicht berücksichtigt. Als Beispiel führt Klemm die berufsbildenden Schulen an. Für diese sei für 2020/21 ein Fehl von 370 Fachkräften berechnet, was auf den ersten Blick nicht alarmierend erscheint. Doch bereits 2018 habe eine Bedarfslücke von 1.620 Lehrkräften in diesem Bereich bestanden – für 2019 seien weitere 760 offene Stellen prognostiziert. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich besetzten Stellen bestehe alleine in dem begrenzten Zeitraum von 2018 bis 2020/21 eine kumulierte Lücke von 2.750 fehlenden Lehrkräften nur für diesen Lehramtsbereich. In anderen Lehramtsbereichen gebe es vermutlich nochmals deutlich höhere Werte.
Immerhin: Alle Bundesländer, so Klemm, zeigten sich zumindest engagiert, um den Herausforderungen zu begegnen. „Alle Länder haben Opportunitäten für Personen geschaffen, die kein Lehramtsstudium absolviert haben sowie für solche, die zwar ein Lehramtsstudium abgeschlossen haben, für das aber keine Nachfrage besteht – beziehungsweise für das studierte Fach“, heißt es in dem Abschluss der Untersuchung.