Förderung : Brücken bauen für benachteiligte Kinder

Unterricht in gewohnter Form wird in diesem Schuljahr nicht mehr möglich sein. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) geht sogar davon aus, dass die Ausnahmesituation auch noch im kommenden Schuljahr andauert. Damit drohen sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche immer weiter abgehängt zu werden. In den Stadtstaaten Berlin und Hamburg laufen bereits Programme, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

Kind vor Buch am Schreibtisch
Viele Kinder kommen ohne Unterstützung mit dem Fernunterricht nur schlecht zurecht.
©Helen Ahmad/dpa

Alle Schülerinnen und Schüler sollen bis zu den Sommerferien zumindest zeitweise wieder in die Schule kommen können. So sieht es das Rahmenkonzept der Kultusministerkonferenz von Dienstag vor. Mit regulärem Unterrichtsgeschehen ist in diesem Schuljahr also nicht zu rechnen, und das hat Auswirkungen für die Kinder und Jugendlichen, die durch Fernunterricht kaum oder gar nicht erreicht werden. Das Deutsche Schulbarometer, eine Lehrer-Umfrage zur Corona-Krise führt dieses Problem vor Augen, und darauf haben auch die Bildungsforscher Klaus Hurrelmann und Dieter Dohmen in einem Gastbeitrag für das Schulportal hingewiesen.

In der vergangenen Woche haben nun 42 Bildungsexpertinnen und -experten in einem offenen Brief an die Kultusministerkonferenz gefordert, Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Verhältnissen bei der Schulöffnung vorrangig zu berücksichtigen. Immerhin ein Satz im aktuellen Rahmenkonzept der KMK lässt sich als Antwort darauf verstehen. So heißt es in dem Papier: „Zusätzlich können für Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf pädagogische Präsenzangebote gemacht werden.“

Berliner Projekt „Lernbrücken“ bietet Unterstützung

Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres mit Tablets
Bildungssenatorin Sandra Scheeres übergibt in einer Schule Tablets als Leihgeräte.
©Britta Pedersen/dpa

Einige Bundesländer haben diese Kinder und Jugendlichen besonders im Blick. Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) betonte nach einer Senatssitzung am Dienstag, dass die Schulen den Unterricht nicht nur gestaffelt nach Jahrgängen aufnehmen sollten, sondern dabei sozial Benachteiligte besonders berücksichtigen sollten. Sie nannte es als Ziel, „dass wir ein Präsenzangebot für benachteiligte Kinder und Jugendliche haben“.

Außerdem hat die Senatsverwaltung bereits Anfang April das Projekt „Lernbrücken“ zur Unterstützung dieser Schülerinnen und Schüler gestartet. Koordiniert wird das Projekt von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, umgesetzt von freien Trägern der Jugendhilfe.

Das Programm richtet sich vor allem an Kinder von Schulen in schwieriger Lage. Im Fokus stehen dabei die 250 Schulen im Bonusprogramm, die einen hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern haben, die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket beziehen. Die Lehrkräfte dieser Schulen nennen den Trägern die Schülerinnen und Schüler, für die sie das Programm als sinnvoll erachten und die sich an den Angeboten im Fernunterricht nur wenig oder unregelmäßig beteiligt haben. Die Teilnahme an dem Programm Lernbrücken ist für die Kinder freiwillig.

Angebot vor allem für Schulanfangsphase und Übergänge

Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter stehen regelmäßig im Kontakt zu diesen Kindern und Jugendlichen, stellen für sie in Absprache mit den Lehrkräften individuell zugeschnittene Lernpakete zusammen, unterstützen bei den Aufgaben direkt zu Hause unter Einhaltung der Abstandsregeln, am Telefon oder über digitale Kanäle.

Die Lernbrücken richten sich an alle Jahrgangsstufen. Der Schwerpunkt liegt vor allem auf der Schulanfangsphase und den Jahrgängen, die kurz vor einem Übergang oder Abschluss stehen. Der Zuspruch bei den Schulen ist groß, nach Angaben der Senatsbildungsverwaltung beteiligen sich ab Mai 71 Schulen, die unterschiedlich viele Kinder angemeldet haben, an dem Programm Lernbrücken.

Ferienschule in den Sommerferien geplant

Wie lange das Programm, für das die Senatsverwaltung 3,2 Millionen Euro bereitgestellt hat, laufen soll, hänge von der weiteren Entwicklung ab. „Es ist auf jeden Fall geplant, in den Sommerferien zusätzlich Ferienschul-Angebote zu machen“, sagte Martin Klesmann, Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung, auf Anfrage des Schulportals.

Auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat „Sommercamps in den Ferien“ auf freiwilliger Basis vorgeschlagen, damit benachteiligte Kinder und Jugendliche versäumten Stoff nachholen können. „Vielleicht ließe sich auch durch engagierte Bürgerinnen und Bürger eine begleitende Unterstützung außerhalb des regulären Unterrichts organisieren – zum Beispiel auch an Samstagen am Vormittag, wenn es keinen regulären Unterricht gibt“, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Die Hamburger Schulbehörde setzt bei der Begleitung von Kindern, die Unterstützung brauchen, vor allem auf häufige Kontakte. Sie hat daher die Verfahren für den Umgang mit Schülerinnen und Schülern in sozial benachteiligten Quartieren im Kontext der Corona-Pandemie intensiviert.

Mit dem Lernpaket kommt auch das Mittagessen

So stehen die Lehrkräfte in täglichem Kontakt zu diesen Schülerinnen und Schülern – telefonisch, digital oder in der Notbetreuung. Die schulische Notbetreuung können Schülerinnen und Schüler aus Wohnunterkünften und prekären Wohnverhältnissen nutzen. „Zusätzlich nutzen unsere Schulen die über das Bildungs- und Teilhabepaket beschäftigten Honorarkräfte aus der Lernförderung für die direkte Begleitung im Distanzunterricht“, sagte Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde, gegenüber dem Schulportal.

Dabei ist auch vorgesehen, dass die Honorarkräfte die Kinder zu Hause an der Tür treffen oder mit ihnen Balkon-Gespräche führen – und es gibt sogar im Stadtteil Wilhelmsburg ein Projekt, bei dem sie mit den Schulaufgaben auch gleich Lunch-Pakete mitbringen. In 15 Minuten sollen sich die Kinder und Jugendlichen aus dem Inhalt ein gesundes Essen zubereiten können. Als Anleitung gibt es dazu jeden Tag um 12 Uhr einen 15-minütigen Livestream für dieSchülerinnen und Schüler. Auch das ist für viele Kinder eine ganz neue Lernerfahrung.

Mehr zum Thema

  • Der Bund hat in der vergangenen Woche ein Sofortausstattungsprogramm über 500 Millionen Euro beschlossen, damit Schulen bedürftige Schülerinnen und Schüler in der aktuellen Situation beim digitalen Unterricht zu Hause unterstützen und professionelle Online-Lehrangebote erstellen können.
  • Bedürftige Kinder und Jugendliche sollen einen Zuschuss von 150 Euro beim Kauf eines Laptops, Tablets oder eines anderen digitalen Endgeräts bekommen. Einige Bundesländer haben auch schon digitale Leihgeräte verteilt.
  • Wer Anspruch auf die 150 Euro hat, entscheiden die Länder. Auch wie das Geld verteilt werden soll, ist noch nicht geklärt.
  • Der Laptop-Zuschuss hat auch Kritik hervorgerufen. Es sei „blanker Hohn“, anzunehmen, dass Eltern und Jugendliche, die sich bisher die Anschaffung eines digitalen Endgerätes nicht leisten konnten, dies mit 150 Euro könnten, sagte beispielsweise der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann.