Ist-Stand, Prognose, Maßnahmen : Lehrermangel verschärft sich weiter – bis 2035 fehlen 68.000 Lehrkräfte

Auch im Schuljahr 2023/24 ist die größte Herausforderung der Lehrermangel. Die Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK)  zeigt, dass das auch in den kommenden Jahren bundesweit so bleibt. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Deutschland wird nach Vorausberechnung der Kultusministerkonferenz (KMK) in den kommenden Jahren stärker steigen als bisher angenommen. Im Dezember 2023 hat die KMK auch ihre Prognose für den Lehrkräftemangel nach oben korrigiert. Bis 2035 fehlen demnach 68.000 Lehrkräfte.  Gleichzeitig stieg die Teilzeitquote bei Lehrkräften laut Statistischem Bundesamt 2022/23 auf 42,3 Prozent, im Vorjahr lag sie bei 40,6 Prozent. Entspannung wird es nur im Grundschulbereich geben. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der KMK hatte radikale Notmaßnahmen gegen den Lehrermangel empfohlen, unter anderem auch eine Beschränkung der Teilzeit.

Inhalt
Schulklasse im Unterricht
Tausende Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger beginnen im neuen Schuljahr ihre Karriere als Lehrkraft.
©Philipp von Ditfurth/dpa

Was sagen die Prognosen zum Lehrermangel in den kommenden Jahren?

Innerhalb kurzer Zeit kommen zu Beginn des Jahres 2024 drei verschiedene Prognosen zum Lehrermangel zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zuletzt veröffentlichte das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) Anfang März seine Vorausberechnungen. Demnach fehlen bis 2035 an den allgemeinbildenden Schulen 155.000 bis 177.500 Lehrkräfte. Die aktuelle Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) vom Dezember 2023 geht von 68.000 fehlenden Lehrkräften aus. Begründet wird die Abweichung mit aktuelleren Daten zur Bevölkerungsentwicklung. Auch für die Grundschule geht die FiBS-Studie von einem Mangel von 16.000 Lehrkräften bis 2035 aus.

Das widerspricht der Prognose der Bertelsmann Stiftung vom Januar 2024. Diese geht davon aus, dass sich zumindest der akute Lehrermangel an Grundschulen bis Mitte des Jahrzehnts umkehren wird. Wie der Bildungsforscher Klaus Klemm gemeinsam mit  dem Bildungsexperten Dirk Zorn berechnete, dürften von 2023 bis 2035 insgesamt rund 96.250 fertig ausgebildete Lehrkräfte fürs Grundschullehramt zur Verfügung stehen. Der Bedarf an neuen Einstellungen im selben Zeitraum wird jedoch voraussichtlich nur etwas mehr als 50.000 Personen umfassen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hatte in ihrer Prognose noch einen Gesamtüberschuss von nur 6.300 Absolventinnen und Absolventen ermittelt. Die Studienautoren machten rückläufige Geburtenzahlen für die Abweichung von der KMK-Prognose verantwortlich.

Nach den veränderten Schülerprognosen hatte die Kultusministerkonferenz im Dezember 2023 auch ihre Berechnungen für den Lehrkräftebedarf angepasst. Nach der neuen Modellrechnung fehlen bis 2035 insgesamt 68.000 Lehrkräfte, und damit mehr, als noch 2022 prognostiziert waren.
Für die Lehrämter im Grundschulbereich wird es laut Prognose bis 2025 eine akute Unterversorgung geben, danach setzt eine leichte Entspannung ein.
Besonders drastisch fällt der Mangel in der Sekundarstufe I aus: Bis 2025 steht einem Einstellungsbedarf von 29.000 Lehrkräften ein Angebot von 13.200 Lehrkräften gegenüber. Bis 2029 verschärft sich die Unterdeckung noch weiter. Auch von 2030 bis 2035 zeichnet sich ein Mangel ab: Einem Einstellungsbedarf von
39.000 Personen stehen dann rechnerisch 24.600 Neuabsolvierende gegenüber.
Etwas entspannter sieht die Prognose für die Sekundarstufe II aus. In den ersten drei Jahren ergibt sich ein geringfügig niedrigeres Angebot an Neuabsolvierenden (30.300), als Personen zur Bedarfsdeckung benötigt werden (35.300). Die Unterdeckung des Lehrereinstellungsbedarfs ist u. a. auf die Sondersituation in Bayern (2025) aufgrund der Umstellung von G8 auf G9 bzw. auf die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums und damit des Abiturs nach 13 Jahren zurückzuführen. Hier steigt der Gesamtbedarf ad hoc sehr stark an, sodass es dann zu einem einmalig hohen Einstellungsbedarf kommt. Zwischen den Jahren 2026 bis 2029 ist rechnerisch eine Bedarfsdeckung mit den Neuabsolvierenden des Vorbereitungsdienstes nahezu möglich. Einen G9-Sondereffekt mit stark erhöhtem Einstellungsbedarf  wird es 2026 in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein geben. Von 2030 bis 2035 kommt es bundesweit laut Modellrechnung zu einer leichten Überdeckung, allerdings wird es bei den Einstellungen durch die G9-Umstellungen zu Nachholbedarfen kommen.
Das Fazit lautet:
  • In allen Lehrämtern lassen die Zahlen einen zum Teil erheblichen Bedarf erwarten. Die Differenzierung nach Lehramtstypen zeigt, dass das Problem nicht besetzbarer Stellen in allen Ländern zum Teil langfristig bestehen bleiben wird.
  • Bei einem Vergleich mit der im März 2022 veröffentlichten Modellrechnung „Lehrkräfteeinstellungsbedarf und -angebot in der Bundesrepublik Deutschland 2021–2035“ stellt sich heraus, dass sich der Lehrkräfteeinstellungsbedarf bei gleichzeitig verringertem Lehrkräfteangebot in fast allen Lehramtsbereichen teilweise deutlich erhöhen wird; Hauptursachen hierfür sind die Folgen veränderter Geburtenzahlen und weiterer Zuwanderung sowie der erweiterten Anforderungen an Schule im Zusammenhang mit der Inklusion, dem Ausbau des Ganztagsangebots und der Sprachfördermaßnahmen.
  • Lehramtsbewerberinnen und -bewerber werden im Prognosezeitraum sehr gute Einstellungschancen im Schulsystem vorfinden.
Die Kultusministerkonferenz (KMK) veröffentlichte am 20. September 2023 die  Vorausberechnung der Schülerzahlen. Demnach steigt die Zahl der Schülerinnen und Schüler um rund eine Million bis zum Jahr 2035. Das macht eine Steigerung um 9,2 Prozent aus. Der Prognose zufolge wird besonders in den westdeutschen Flächenländern und in den Stadtstaaten mit einem starken Anstieg der Schülerzahl gerechnet. In den ostdeutschen Bundesländern steigen die Schülerzahlen voraussichtlich noch bis 2027 leicht an, um dann bis 2035 auf das jetzige Niveau von 1,5 Millionen zurückzugehen.

Steigende Teilzeitquote bei Lehrkräften

Im Januar 2024 meldete das Statistische Bundesamt, dass die Teilzeitquote von Lehrkräften im Schuljahr 2022/23 auf 42,3 Porzent gestiegen ist, ein neuer Zehnjahresrekord.

Angesichts des steigenden Lehrkräftebedarfs wird auch die Altersstruktur derzeitiger Lehrerinnen und Lehrer wichtiger, um den künftigen Bedarf einzuschätzen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts war zuletzt mehr als ein Drittel (36,2 Prozent) der Lehrerinnen und Lehrer älter als 50 Jahre, 10,6 Prozent waren 60 Jahre und älter. Diese dürften kurz- bis mittelfristig in den Ruhestand gehen. Die unter 35-Jährigen machten 21,1 Prozent der Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen aus.

Besonders in den ostdeutschen Bundesländern war der Anteil älterer Lehrkräfte hoch. In Sachsen-Anhalt stellten die über 50-Jährigen mit 57,1 Prozent die größte Gruppe von Lehrerinnen und Lehrern dar. In Thüringen 53,5 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 52,5 Prozent. Im Saarland (28,2 Prozent) und in Bremen (30,4 Prozent) war ihr Anteil besonders niedrig.

Zahl der Studienanfänger sinkt

Die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger in Lehramtsstudiengängen sank den Angaben zufolge im vergangenen Jahr zum zweiten Mal in Folge. Im Studienjahr 2022 begannen knapp 45.400 junge Leute ein Lehramtsstudium – das waren 3,2 Prozent weniger als im Studienjahr 2021 und 7 Prozent weniger als zehn Jahre zuvor.

Auch die Zahl der Lehramtsabsolventinnen und -absolventen ging zurück: Im Prüfungsjahr 2022 haben rund 28.700 Studentinnen und Studenten ihre Abschlussprüfungen bestanden. Das waren zwar nur 0,7 Prozent weniger als im Jahr zuvor (rund 28.900). Im Zehnjahresvergleich sank die entsprechende Zahl allerdings um 10,5 Prozent.

Zur Steiegerung der Absolventinnen und Absolventen in der Lehrerausbildung hatte die Ständige Wissenschaftliche Kommission im Dezember ein Gutachten vorgelegt.

Schulleitungsumfrage zu unbesetzte Stellen

Eine Schulleitungsumfrage des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) hatte im November 2023 ergeben, dass an jeder zweiten Schule Lehrkräftestellen zu Beginn des laufenden Schuljahres nicht vorllständig besetzt waren. Im Durchschnitt fehlten den Schulen, die mit unbesetzten Stellen zu kämpfen haben, 11 Prozent der eigentlich zur Verfügung stehenden Lehrkräfte. An 3.500 Schulen fehlten sogar mehr als 15 Prozent der Lehrkräfte. Am stärksten betroffen sind Grundschulen und Förderschulen.

66 Prozent der Befragten geben an, dass sie an der Schule Personen beschäftigen, die keine Lehramtsqualifikation erworben haben. Diese Zahl hat sich in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt.

Empfehlungen, um Lehrermangel zu bekämpfen

Unter anderem mit einer temporären Kürzung der Stundentafel und einer Reform der Lehrerbildung will der Bildungsrat von unten den Lehrermangel bekämpfen. Am 31. Januar 2024 veröffentlichte das breite Bündnis aus der Bildungspraxis seine Forderungen an die Politik – als Gegengewicht zu den Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK), die als Akutmaßnahmen unter anderem Mehrarbeit und die Einschränkung von Teilzeit beinhalteten.Dier Bildungsrat hat sein Gutachten in einem Manifest mit neun Forderungen zusammengefasst.

Wo ist der Lehrermangel am größten?

Die ersten Zahlen zur Personalausstattung im Schuljahr 2023/24 zeigten, dass zum Schulstart noch tausende Lehrerstellen unbesetzt waren. Die Einstellungsverfahren liefen weiter, doch oft fehlt es an qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern. Besonders in den ostdeutschen Bundesländern ist der Mangel an Fachkräften groß, doch auch in den westlichen Ländern wird es immer schwieriger, die offenen Stellen zu besetzen. Ohne Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger könnte der Unterricht häufig nicht mehr abgesichert werden. In Berlin, wo der Lehrermangel seit Jahren besonders groß ist, hatten laut GEW zwei Drittel der neu eingestellten Lehrerinnen und Lehrer keinen regulären Lehramtsabschluss.

Oft ist die Unterrichtsversorgung in den Ländern regional sehr unterschiedlich. Die Länder reagieren mit Abordnungen in unterversorgte Regionen oder Zulagen.

Das Schulportal fragt regelmäßig in den Kultusministerien zu Beginn des Schuljahres ab, wie die Stellenbesetzung an Schulen gelingt. Dabei handelt es sich um eine Momentaufnahme, die allerdings einen eindeutigen Trend zeigt.

Im folgenden Länderüberblick finden Sie die Zahlen zur Personalausstattung der Schulen und Maßnahmen der jeweiligen Kultusministerien zur Absicherung des Unterrichts in Zeiten des Lehrermangels.

Erklärung der KMK zu Maßnahmen gegen den Lehrermangel

Am 15. März 2024 hat die KMK einen Beschluss zur Öffnung der Lehrerausbildung gefasst, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Danach wollen die Länder einen gemeinsamen Rahmen für die Qualifizierung zu Ein-Fach-Lehrkräften, das Duale Lehramtsstudium und das Quereinstiegs-Masterstudium schaffen.

In einer Erklärung zum Lehrkräftebdarf hatte sich die KMK zuvor am 17. März 2023 auf gemeinsame Maßnahmen festgelegt. Darin  hieß es:

  • Die Länder setzen sich dafür ein, die Attraktivität und die Wertschätzung des Lehrberufs in der Gesellschaft zu erhöhen.
  • Die Länder halten ausreichende Kapazitäten an den lehrkräftebildenden Hochschulen und für den Vorbereitungsdienst vor, die dem Bedarf im jeweiligen Land entsprechen.
  • Die Länder entwickeln gemeinsam mit ihren Hochschulen bedarfsbezogen die Lehramtsstudiengänge weiter.
  • Die Länder fordern den Bund auf, in der GWK die Verhandlungen zur Weiterführung der Qualitätsoffensive Lehrerbildung aufzunehmen.
  • Die Länder streben eine weitere Vereinheitlichung der gemeinsamen Parameter für die Ermittlung des Lehrkräftebedarfs und -angebots an.
  • Die Länder erleichtern den Studiengangwechsel von einem fachwissenschaftlichen bzw. künstlerischen Studiengang in die Lehramtsstudiengänge und erleichtern den Einstieg in den Lehrberuf für Menschen mit anderen Studienabschlüssen. Die Länder prüfen die Möglichkeiten, die bestehende Öffnung für den Lehramtstyp 5 (Sek II Lehramt für die beruflichen Schulen) bundesweit temporär auf die allgemeinbildenden Lehrämter zu erweitern. Diese Öffnung ermöglicht es Studierenden, nach einem Einfach-Bachelorstudiengang eines Bedarfsfaches in den Master of Education einzutreten und fehlende Inhalte vollumfänglich nachzuholen. In diesem Zusammenhang ist auch die Möglichkeit der Öffnung für duale Studiengänge zu prüfen.
  • Die Länder qualifizieren Quer- oder Seiteneinsteigende angemessen und legen gemeinsame Standards fest. Die Länder streben dabei eine stärkere Öffnung der Hochschulen für die berufsbegleitende Qualifizierung von Quer- und Seiteneinsteigern an.
  • Die Länder prüfen die Möglichkeit der (ggf. auch temporären) Beschäftigung von Lehrkräften mit nur einem Unterrichtsfach, die in anderen Staaten bereits üblich ist.
  • Die Länder prüfen Möglichkeiten, das Anerkennungsverfahren für im Ausland erworbene Abschlüsse zu verbessern sowie internationale Bewerberinnen und Bewerber mit im Ausland erworbenen Abschlüssen schneller für den Schuldienst zu qualifizieren.
  • Die Länder werden insbesondere die Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission prüfen, die sich darauf konzentrieren, das Potenzial qualifizierter Lehrkräfte auszuschöpfen.
    Die Länder setzen die Bemühungen zur Entlastung der Lehrkräfte von Organisations- und Verwaltungsaufgaben fort.

In einer Forsa-Befragung von Schulleitungen gaben zuletzt 57 Prozent an, dass bei ihnen mindestens eine der eigentlich zur Verfügung stehenden Lehrkräftestellen zum Schuljahresbeginn nicht besetzt war. Im Mittel waren es laut Forsa 1,6 unbesetzte Stellen. Hochgerechnet auf alle gut 32.000 allgemeinbildenden Schulen im Land wären das mehr als 50.000 Stellen. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE), der die Umfrage in Auftrag gegeben hatte, sprach angesichts der Lücke von einem bedrückenden Befund. Der Bundesvorsitzende Gerhard Brand erneuerte die Kritik an der Kultusministerkonferenz (KMK): In der Realität unserer Schulen ist die Lücke jetzt schon schätzungsweise doppelt so groß, wie die KMK sie für 2035 prognostiziert, sagte er laut einer Verbandsmitteilung.

Empfehlungen der SWK

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) hat am  27. Januar 2023 gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz (KMK) eine Stellungnahme zum Umgang mit dem akuten Lehrermangel vorgestellt. Es wird künftig kaum möglich sein, genügend Lehrkräfte auszubilden , heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Die Empfehlungen konzentrieren sich deshalb einerseits darauf, das Potenzial qualifizierter Lehrkräfte auszuschöpfen, etwa Teilzeitarbeit befristet zu begrenzen, Lehrkräfte im Ruhestand einzusetzen und Lehrerinnen und Lehrer von Aufgaben jenseits des Unterrichts zu entlasten. Andererseits hält die SWK es für möglich, den Lehrkräftebedarf unter bestimmten Bedingungen zu senken. Die Kommission empfiehlt dafür zum Beispiel die Ausweitung von Hybridunterricht und Selbstlernzeiten in höheren Klassenstufen sowie den flexiblen Umgang mit Klassengrößen ab der Sekundarstufe I. Die Kommission betont, dass es sich hierbei um Notmaßnahmen handelt, die zeitlich befristet sein müssen. Langfristig sind neue Formen der Unterrichtsorganisation und der Ausbildung sowie Gewinnung von Lehrkräften notwendig.

In welchen Fächern fehlen die meisten Lehrerinnen und Lehrer?

Lehrerinnen und Lehrer fehlen an den weiterführenden Schulen besonders häufig in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Der Bildungsforscher Klaus Klemm hat für die Telekom-Stiftung in einer Studie vom Januar 2021 am Beispiel Nordrhein-Westfalen untersucht, wie sich Angebot und Bedarf an Lehrkräften in den MINT-Fächern an allgemeinbildenden Schulen entwickeln. Das Ergebnis: Ohne ein Gegensteuern werden die Schulen im Schuljahr 2030/31 nur ein Drittel der nötigen ausgebildeten MINT-Fachlehrkräfte zur Verfügung haben. Dieses Ergebnis ist noch einmal deutlich negativer als das der Vorgängerstudie von 2014. Hier hatte Klemm noch eine voraussichtliche Bedarfsdeckungsquote von immerhin rund zwei Dritteln bis 2025/26 vorhersagen können. Die Gründe: Jede dritte MINT-Lehrkraft wird laut Studie bis 2030/31 aus dem Schuldienst ausscheiden, vor allem aus Altersgründen. Zusätzlich wachsen die Schülerzahlen stark an. In den kommenden zehn Jahren müssten laut Berechnung von Klemm in NRW jährlich etwa 3.300 neue MINT-Lehrkräfte eingestellt werden. Nach den aktuellen Belegungen der Studienplätze im Lehramt für diese Fächer werden es aber nur 1.100 Absolventinnen und Absolventen sein.

In Rheinland-Pfalz etwa meldete das Statistische Landesamt am 12. Juli 2021, dass nur 17 der rund 1.200 Lehramtsabsolventinnen und Lehramtsabsolventen im Jahr 2020 in Rheinland-Pfalz das Fach Informatik belegt haben. Von ihnen schlossen wiederum lediglich zehn ihr Zweites Staatsexamen in einem Lehramt an einer allgemeinbildenden Schule ab.

Die Zahl der Lehrkräfte mit dem Fach Informatik in Rheinland-Pfalz sinkt der Behörde zufolge schon seit einigen Jahren. So hatten im Jahr 2020 etwa 680 Lehrerinnen und Lehrer an allgemeinbildenden Schulen eine Lehrererlaubnis für Informatik. Nach Angaben des Statistischen Landesamts war das der niedrigste Wert seit 2010. Die Zahl dieser Lehrkräfte war in den vergangenen zehn Jahren um fast sieben Prozent gesunken.

Im Dezember 2021 hat die KMK gemeinsame Empfehlungen veröffentlicht, die dazu beitragen sollen, das Bild von Mangelfächern wie Mathematik und Naturwissenschaften in den Augen der Abiturientinnen und Abiturienten zu verändern. Dadurch sollen die Bewerberzahlen für ein Lehramtsstudium in diesen Fächern erhöht werden. Hierzu gibt es Vorschläge für die Handlungsfelder „Schule“, „Medien und Werbung“, „Studium“ und „Lehrerberuf“. Beispielsweise sollen zusätzliche Anreize für Berufseinsteigerinnen und -einsteiger mit Mangelfächern geschaffen und Werbemaßnahmen in den sozialen Medien intensiviert werden. Abiturientinnen und Abiturienten sollen z. B. durch eigene Unterrichtsversuche, Lehrgelegenheiten in AGs, Ferienkurse oder Grundschulprojekte früh Einblicke in die Arbeit von Lehrkräften bekommen. Zudem sollen Stipendienprogramme für Lehramtsstudierende in den Mangelfächern geschaffen beziehungsweise ausgebaut werden. Die Empfehlungen weisen zudem auf die guten Einstellungschancen im Schulsystem hin, die angehende Lehrerinnen und Lehrer in den kommenden Jahren in ausgewählten Bereichen vorfinden werden.

Welche Wege für den Quereinstieg an Schulen gibt es?

Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger haben zwar auch ein für das Lehramt relevantes Fach studiert, aber kein Lehramtsstudium absolviert. Sie besuchen je nach Bundesland vor dem Einsatz im Schuldienst einen mehrwöchigen oder manchmal auch nur mehrtägigen Einführungskurs und werden dann auch berufsbegleitend weiterqualifiziert. Außerdem sollen sie in den Schulen besonders unterstützt werden. In einigen Bundesländern gibt es den Quereinstieg nur in den Vorbereitungsdienst.

Alle relevanten Informationen zum Quereinstieg ins Lehramt in den Ländern gibt es in unserem Beitrag Lehrer gesucht – Wie der Quereinstieg ins Lehramt funktioniert .

Welche Zulagen gibt es bei Lehrermangel an Schulen in ländlichen Regionen?

Schulen im abgelegenen ländlichen Raum haben es oft besonders schwer, Personal zu finden. Viele Stellen bleiben oft ein ganzes Schuljahr oder länger unbesetzt. Die Kultusministerien bieten deshalb immer häufiger Zulagen, Umzugshilfen und andere Anreize, um Lehrkräfte für die Arbeit in abgelegenen oder unbeliebten Regionen zu gewinnen.

Brandenburg will Lehramtsstudierende dafür gewinnen, an Schulen zu unterrichten, die einen besonderen Bedarf an voll ausgebildeten Lehrkräften haben. Dafür wurde das „Brandenburg-Stipendium Landlehrerinnen und Landlehrer“ aufgelegt – erstmals im Wintersemester 2021/22 mit 25 Stipendien in Höhe von 600 Euro als Pilotprogramm. Aktuell haben brandenburgweit 53 Schulen fast aller Schulformen (außer Gymnasien) einen besonderen Bedarf an voll ausgebildeten Lehrkräften, da an diesen Schulen bereits mehr als 25 Prozent Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger unterrichten. Diese Schulen sind auf einer interaktiven Karte im MBJS-Internet dargestellt.

Auch der Landtag in Thüringen hatte im März 2021 ein neues Zulagensystem beschlossen, um angehende Lehrkräfte zu motivieren, dort zu arbeiten, wo der Lehrkräftemangel besonders ausgeprägt ist.

Das Schulportal hat sich die Maßnahmen in einigen Ländern genauer angesehen. Mehr zu den Herausforderungen der Schulen im ländlichen Raum erfahren Sie im Dossier „Wie sich Schulen in abgehängten Regionen behaupten“.

Wie können geflüchtete Lehrkräfte qualifiziert werden?

Um die geflüchteten Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine unterrichten zu können, suchen Schulen händeringend nach zusätzlichem Personal. Eine wichtige Rolle spielen dabei Lehrerinnen und Lehrer aus der Ukraine. Sie sollen vor allem für den herkunftssprachlichen Unterricht zum Einsatz kommen. Das Schulportal gibt hier einen Überblick, wie die Bewerbungs- und Aufnahmeverfahren in den Ländern laufen.

Die Universität Potsdam hat 2016 ein Qualifizierungsprojekt für geflüchtete Lehrkräfte gestartet, um den Berufseinstieg ins Brandenburger Schulsystem zu ermöglichen.

Zielgruppe sind geflüchtete Akademikerinnen und Akademiker, die im Ausland ein Lehramtsstudium erfolgreich absolviert haben und in ihrem Herkunftsland bereits als Lehrkraft an einer Schule gearbeitet haben. Das 18-monatige Programm bietet unter anderem Sprachkurse für den Erwerb des Sprachzertifikats C1, pädagogische Seminare und ein Schulpraktikum.

Die Qualifizierung in Vollzeit bereitet auf eine zweijährige Tätigkeit als Assistenzlehrkraft oder als pädagogische Unterrichtshilfe vor. Danach soll eine Weiterqualifizierung analog zum Seiteneinstieg anschließen.

Viele Teilnehmende scheitern dennoch an den hohen Einstiegshürden. Das Schulportal hat darüber berichtet.

Im Kampf gegen den Lehrermangel hat sich Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) dafür ausgesprochen, die Anforderungen an Lehrkräfte aus dem Ausland zu überprüfen. Wir müssen an diese Hürden ran, ohne die Qualität in Frage zu stellen , sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Kultusministerkonferenz sollte sich seiner Meinung nach verständigen, wie es mit ausländischen Abschlüssen weitergeht . Man müsse dafür sorgen, dass solche Abschlüsse gleichwertig anerkannt werden, damit auch diese Kolleginnen und Kollegen schneller unbefristet ins System kommen, sagte Holter.

Warum reichen die Ausbildungskapazitäten für Lehrkräfte nicht aus?

Mark Rackles, Ex-Staatssekretär für Bildung in Berlin, ist überzeugt, dass die Wurzel für den Lehrermangel in der Ausbildung liegt. Seit Jahren erhöhen die Länder die Kapazitäten in den Universitäten und dennoch kommen nicht genügend ausgebildete Lehrkräfte an den Schulen an. In seiner Studie „Lehrkräftebildung 2021“ ist er den Ursachen auf den Grund gegangen. Viele Bundesländer bilden bis heute nicht bedarfsgerecht aus. Hinzu kommt, dass viele Lehramtsstudierende ihre Ausbildung abbrechen oder wechseln. Bundesweit ist die Zahl der Studienplätze in den vergangenen Jahren um 17 Prozent gestiegen, gleichzeitig ist die Zahl der Absolventinnen und Absolventen der ersten Phase der Lehrerausbildung an den Hochschulen gesunken.

Für Rackles lässt  sich das Problem nur länderübergreifend lösen. „Man kann nicht in der Ausbildung 16 Teilmärkte isoliert betrachten und sich dann wundern, dass der Gesamtmarkt nicht stimmig ist“, sagt er im Interview mit dem Schulportal. „Man bräuchte eine Instanz, die von außen drauf schaut, losgelöst von der Logik der Politik, die Defizite kleinzureden“, sagt Rackles weiter.

Eine solche Instanz gibt es inzwischen. Im Herbst 2020 hatte die Kultusministerkonferenz beschlossen, eine „Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz“ einzurichten. Aufgabe dieser Einrichtung ist die Beratung der Länder in Fragen der Weiterentwicklung des Bildungswesens und des Umgangs mit seinen Herausforderungen. Ende Juni 2021 hat sich das Gremium konstituiert. Die KMK hat die Kommission beauftragt, Maßnahmen gegen den Lehrermangel vorzuschlagen.

Online-Portal „Lehrer*in werden"

  • Der Deutsche Bildungsserver hat ein Dossier zum Thema Lehrermangel mit Prognosen und Empfehlungen für den Umgang mit der Situation zusammengestellt.
  • Außerdem hat der Deutsche Bildungsserver im Juli 2022 ein Informationsportal für alle, die sich für den Lehrerberuf interessieren, gestartet. Auf dem Portal Lehrer*in werden können die Interessenten ihre präferierten Schulformen und gewünschten Bundesländer eingeben und werden dann direkt zu den entsprechenden Informationen weitergeleitet. Eine interaktive Karte informiert zudem über den Einstellungsbedarf ab 2022 für Lehrer:innen je nach Schulart in den einzelnen Bundesländern. Drüber hinaus gibt es Antworten auf die wichtigsten Fragen und Berichte von Lehrkräften, die über ihren Einstieg in den Beruf berichten.