Interview : „Digitale Medien können die Lehrkraft nicht ersetzen“
Intelligente Lernsoftware, die den Stoff passgenau auf die Schülerinnen und Schüler zuschneidet, wird weltweit erprobt. Wie können die Erfahrungen der anderen Länder in Deutschland genutzt werden? Über diese Frage sprachen wir mit Heike Schaumburg vom Forschungsteam der neuen Studie „Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien“.

Das Deutsche Schulportal: Digitale Medien werden derzeit oft als Heilsbringer gesehen, wenn es darum geht, dass jede Schülerin und jeder Schüler im eigenen Tempo und nach individuellen Interessen lernt. Ist Lernsoftware tatsächlich die Zukunft für den personalisierten Unterricht?
Heike Schaumburg: Ja und Nein. In Zukunft werden digitale Medien im Unterricht sicher vieles erleichtern und auch ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Aber auch ohne digitale Medien können ja die Schülerinnen und Schüler in den herkömmlichen Arbeitsheften oft schon nach ihrem eigenen Tempo lernen. Mit einer Lernsoftware geht das noch einfacher. So erhalten die Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel eine übersichtlichere Rückmeldung, wo der Einzelne gerade steht.
Allerdings können digitale Medien nicht die Lehrkraft ersetzen. Die Pädagogik steht immer im Vordergrund. Eine komplette Individualisierung des Unterrichts sollte aus meiner Sicht auch gar nicht die Zukunft der Schule sein. In der Schule geht es auch immer um gemeinsames Lernen und um soziale Erfahrungen.
Die aktuelle Studie zeigt, dass andere Länder wie etwa die USA oder Kanada viel weiter sind, was den Einsatz von Lernsoftware im Unterricht betrifft. Lassen sich die Erfahrungen und Methoden auf Deutschland übertragen?
Man muss gar nicht so weit in die Ferne schauen – schon in unseren Nachbarländern Dänemark oder Niederlande werden digitale Lernwerkzeuge viel häufiger im Unterricht eingesetzt als hier. Einige dieser Erfahrungen ließen sich auf jeden Fall auf unser Schulsystem übertragen. Allerdings ist Vorsicht geboten, wenn es darum geht, Methoden eins zu eins zu übernehmen. Pisa hat uns gezeigt, dass es eben nicht so einfach ist, die Erfolgsfaktoren beispielsweise von Finnland auf Deutschland zu übertragen – die Bildungssysteme sind zu unterschiedlich. Hinzu kommt, dass die technische Ausstattung an den deutschen Schulen nach wie vor schlechter ist als in vielen anderen Ländern. Und unter den Lehrkräften hier ist oft eine gewisse Technikskepsis verbreitet, die es so in den Niederlanden zum Beispiel nicht gibt. All diese Faktoren müssen mit bedacht werden, wenn man sich die internationalen Erfahrungen ansieht.

Viele Lehrerinnen und Lehrer scheinen aber auch überfordert, wenn es darum geht, aus der Fülle der Möglichkeiten eine geeignete Software auszuwählen.
Das ist tatsächlich ein Problem. Hier wäre es wichtig, wenn die Angebote lehrplanbezogen übersichtlich zusammengestellt und Empfehlungen für die Nutzung im Unterricht gegeben werden würden. In einigen Bundesländern gibt es schon solche Angebote, beispielsweise auf den Bildungsservern. Es gibt auch Einzelinitiativen von engagierten Lehrerinnen und Lehrern, die sich im Netz austauschen. Und dann gibt es noch die Schwierigkeit der Finanzierung. Die Kosten für die Software werden bei den Kosten der Digitalisierung meist noch gar nicht mitgedacht. Die Schulen haben bisher in der Regel kein ausreichendes Budget, um Lizenzen zu kaufen. Eine Möglichkeit wäre es aus meiner Sicht, dass die Bildungsbehörden der Länder Lizenzvereinbarungen für alle Schulen des jeweiligen Bundeslands abschließen würden.
Eine Hürde scheint auch der Datenschutz zu sein. Können die Lehrerinnen oder Lehrer in Deutschland überhaupt digitale Lernwerkzeuge einsetzen, wie etwa in Asien oder USA?
Die Unsicherheit ist bei den Lehrerinnen und Lehrern groß. Wenn sie zum Beispiel mit den Schülerinnen und Schülern Plattformen wie Instagram oder Youtube nutzen wollen, weil diese sich dort viel bewegen, ist die rechtliche Lage häufig unklar. Wenn wir von Software für das personalisierte Lernen sprechen, dann geht es dabei außerdem auch immer darum, große individualisierte Datenmengen zu erfassen. Die Programme verarbeiten diese Daten und geben dann Rückmeldungen, zum Beispiel zum aktuellen Lernstand des Einzelnen. So können etwa Aufgabentypen angepasst werden.
Über die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen, die für die Nutzung solcher Programme gegeben sein müssen, hat man sich aber bisher noch nicht ausreichend Gedanken gemacht. Andererseits wird in einigen Ländern, wie in China oder der Schweiz, in Forschungsprojekten bereits mit Programmen experimentiert, bei denen die Schülerinnen und Schüler im Unterricht permanent mit Kameras gefilmt werden. Über die Gesichtserkennung erfasst der Computer dann, wer gerade aufmerksam zuhört oder wer unaufmerksam ist. Entsprechend werden auf den Tablet-PCs der Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Aufgaben eingespielt. Auch die Lehrkräfte können auf diesem Weg einen Überblick über die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler ihrer Klasse einholen.
Das wäre an einer staatlichen Schule in Deutschland nicht denkbar – die Frage ist aber auch, ob wir zu einer solchen Form der Technisierung des Unterrichts hinwollen.