ICILS 2018 : Wo steht Deutschland in der digitalen Bildung?

Obwohl Lehrkräfte in Deutschland digitale Medien bereits häufiger im Unterricht verwenden als vor fünf Jahren, wirkt sich das kaum positiv auf die digitalen Kompetenzen der Jugendlichen aus. Das zeigt die internationale Vergleichsstudie ICILS 2018 (International Computer and Information Literacy Study). Häufig wird von den Lehrkräften demnach das Potenzial der digitalen Medien für das Lernen noch nicht genutzt.

Schüler am Computer
Die digitalen Kompetenzen der Achtklässlerinnen und Achtklässler haben sich in den vergangenen fünf Jahren nicht verbessert. Deutschland liegt im internationalen Vergleich im Mittelfeld.
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Lehrkräfte in Deutschland setzen deutlich häufiger digitale Medien im Unterricht ein als noch vor fünf Jahren. Auf die digitalen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler hat das bisher jedoch nur wenig Auswirkungen. Das zeigt die internationale Vergleichsstudie ICILS 2018, die am 5. November veröffentlicht wurde.

Erstmals kann darin eine Entwicklung für viele der zwölf Teilnehmerländer im Vergleich zur ersten ICIL-Studie 2013 ausgemacht werden. Für Deutschland fällt der Vergleich allerdings ernüchternd aus. Die digitalen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in den achten Klassen haben sich im Mittel nicht verbessert, obwohl sich viele Schulen in Sachen Digitalisierung auf den Weg gemacht haben. Deutschland befindet sich im Vergleich zu anderen Ländern nach wie vor im Mittelfeld. Das Nachbarland Dänemark, das bereits 2013 sehr gute Ergebnisse erreicht hatte, konnte seinen Vorsprung weiter verbessern und gehört zu den Spitzenreitern der ICIL-Studie 2018.

Die Studie gibt Aufschluss über drei Bereiche: Zum einen wurden, wie schon 2013, die informations- und computerbezogenen Kompetenzen der 14-Jährigen getestet. In einem zweiten Teil wurden die Rahmenbedingungen und die Nutzung der digitalen Medien durch die Lehrkräfte und die Ausstattung der Schulen näher unter die Lupe genommen. In einem dritten Teil wurden erstmals Kompetenzen im Bereich „Computational Thinking“ bei den Schülerinnen und Schüler erfasst. Hierbei wurde unter anderem untersucht, inwieweit Schülerinnen und Schüler verstehen, wie Algorithmen funktionieren und mit ihnen arbeiten können. In einigen Ländern ist das „Computational Thinking“ bereits Bestandteil der schulischen Lehrpläne.

Ziel der Studie ist es zu erfassen, wie gut Schülerinnen und Schüler auf ein Studium, auf die Berufswelt und das Leben in einer digitalen Welt vorbereitet sind. Teilgenommen haben Chile, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Kasachstan, Südkorea, Luxemburg, Portugal, Uruguay und die USA. Außderdem wurden Schülerinnen und Schüler in Moskau und in Nordrhein-Westfalen gestestet.

Fast ein Viertel der Lehrkräfte nutzt digitale Medien täglich im Unterricht

Die positive Nachricht: „Das Engagement der Lehrkräfte in diesem Bereich ist deutlich gestiegen“, sagt die Leiterin der Studie in Deutschland Birgit Eickelmann von der Universität Paderborn dem Schulportal. Die Lehrkräfte nutzen demnach häufiger digitale Medien im Unterricht als vor fünf Jahren, und digitale Kompetenzen spielen auch in den Lehrplänen eine größere Rolle. 60 Prozent nutzen digitale Medien mindestens einmal pro Woche. Dieser Anteil hat sich im Vergleich zu 2013 fast verdoppelt. 23,2 Prozent nutzen digitale Medien sogar täglich. 2013 waren es nur 9,1 Prozent.

Dennoch liegt Deutschland mit diesem Ergebnis im internationalen Vergleich weit hinten, nur Uruguay hat noch einen geringeren Anteil an Lehrkräften, die täglich digitale Technologien nutzen. In den meisten Ländern ist die Quote doppelt so hoch oder höher. Im Vorreiterland Dänemark setzen schon 71 Prozent der Lehrkräfte täglich digitale Geräte ein.

Auch die Potenziale der digitalen Medien für das Lernen werden in Deutschland weit geringer eingeschätzt als in anderen Ländern. Nur 35 Prozent der Lehrkräfte stimmen der Aussage zu, dass die Nutzung digitaler Medien Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler unterstützen kann. Damit liegt Deutschland auf dem vorletzten Platz. Zwei Drittel der Befragten gibt an, dass für sie bisher nicht ersichtlich ist, dass der Einsatz digitaler Medien einen positiven Effekt auf die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler hat. „Hier sehe ich eine der großen Zukunftsaufgaben. Der eigentliche Mehrwert wird von vielen Lehrkräften offenbar noch nicht gesehen und vielleicht auch daher noch nicht genutzt“, sagt Eickelmann. In den Fächern müsse deutlicher herausgearbeitet werden, wie digitale Medien das fachliche Lernen unterstützen können. Vergleichsweise selten würden zudem digitale Tools zur individuellen Förderung im Unterricht eingesetzt.

Am häufigsten kommen in Deutschland digitale Medien im Frontalunterricht zur Präsentation von Informationen, zum Beispiel mit Hilfe eines Beamers oder eines Smartboards, zum Einsatz. Die Möglichkeiten der internetbasierten Zusammenarbeit werden von den Lehrkräften wenig genutzt, zum Beispiel wenn Schülerinnen und Schüler gemeinsam in Teams an Texten arbeiten oder an Lernorten außerhalb der Schule zu einem Thema Daten sammeln. In diesem Bereich ist Deutschland international weit abgeschlagen. Bedenklich ist auch, wie wenige Lehrkräfte in Deutschland das Potenzial nutzen, mit Kolleginnen und Kollegen hier zu kooperieren. Nur 33 Prozent der Befragten geben an, dass sie bei der Entwicklung von digital basierten Unterrichtsstunden mit anderen Lehrkräften zusammenarbeiten. Damit ist Deutschland Schlusslicht. Der Durchschnitt aller Teilnehmerländer liegt bei 61 Prozent.

Jeder dritte Jugendliche erreicht laut ICILS 2018 nur rudimentäre digitale Kompetenzen

ICILS 2018 erlaubt erstmals die Entwicklung der computer- und informationsbezogenen Kompetenzen der Achtklässler im Verlauf von fünf Jahren zu beschreiben. Dabei geht es zum Beispiel darum, wie Informationen gefiltert, verifiziert und kommuniziert werden und ob die Jugendlichen in der Lage sind, ein sicheres Passwort anzulegen oder den Rechner vor Viren zu schützen. 33,4 Prozent der getesteten Achtklässlerinnen und Achtklässler erreichen hier nur die beiden unteren von insgesamt fünf Kompetenzstufen. Das heißt, sie verfügen nur über rudimentäre Fähigkeiten im Umgang mit den neuen Technologien und digitalen Informationen.

33,4 Prozent der getesteten Achtklässlerinnen und Achtklässler erreichen hier nur die beiden unteren von insgesamt fünf Kompetenzstufen.

Im Vergleich zur Vorgängerstudie aus dem Jahr 2013 hat sich an diesem dramatischen Befund nichts geändert. Und nach wie vor gibt es hierbei auch große Unterschiede, wenn man die soziale Herkunft betrachtet. Schülerinnen und Schüler aus weniger privilegierten Elternhäusern (gemessen am häuslichen Bücherbestand und den Berufen der Eltern) schneiden deutlich schlechter ab. „Eine ganze Schülergruppe kann die Informationen im Internet nicht ausreichend reflektieren. Das ist eine große Herausforderung, auch für die Stabilität der Gesellschaft“, sagt Eickelmann. Zudem würden diesen Jugendlichen Lebens- und Berufschancen in der digitalen Welt vorenthalten. Konkret heißt das, dass nur 57 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Familien die dritte Kompetenzstufe erreichen, während es bei ihren Mitschülern aus privilegierten Elternhäusern 81 Prozent sind.  Unverändert ist auch die Disparität zwischen Jungen und Mädchen. Mädchen erreichen in allen Bereichen der computer- und informationsbezogenen Kompetenzen bessere Ergebnisse als Jungen.

Auch in der Leistungsspitze gibt es keine Veränderungen. Weiterhin nur knapp 2 Prozent der Achtklässlerinnen und Achtklässler erreicht die höchste Kompetenzstufe: „Uns gelingt es noch nicht, die Schätze zu heben und den begabten Jugendlichen im Bereich der Digitalisierung ein ansprechendes Bildungsangebot zu machen“, sagt Eickelmann.

Beispielaufgaben für computer- und informationsbezogene Kompetenzen

  • Kompetenzstufe 1: Öffne einen Link in einem neuen Browser-Tab.
  • Kompetenzstufe 2: Erkläre ein potenzielles Problem, wenn eine persönliche E-Mail-Adresse öffentlich sichtbar ist.
  • Kompetenzstufe 3: Überprüfe die Glaubwürdigkeit einer Information auf einer crowdsourced Website.
  • Kompetenzstufe 4: Überprüfe die Glaubwürdigkeit einer Information auf einer kommerziellen Website, die dazu dient, ein Produkt zu verkaufen.
  • Kompetenzstufe 5: Erkläre, wie Passwörter verschlüsselt und entschlüsselt werden können.

„Computational Thinking“ ist mehr als das Erkennen von Algorithmen

Erstmals liefert die Studie auch Erkenntnisse zu dem vergleichsweise neuen Kompetenzbereich „Computational Thinking“. An diesem freiwilligen Zusatzmodul der Studie hat nur ein Teil der Länder teilgenommen, darunter auch Deutschland. In den untersuchten Ländern sind diese Kompetenzen in unterschiedlichem Maße in den Lehrplänen enthalten und wenn, dann meist auch erst seit relativ kurzer Zeit. In Deutschland ist das fast gar nicht der Fall. Entsprechend liegen die Schülerinnen und Schüler in Deutschland auch etwas unter dem internationalen Durchschnitt. Die Kultusministerkonferenz hat diesen neuen Kompetenzbereich „Algorithmen erkennen und formulieren“ bereits 2016 in die „Strategie der Bildung in der digitalen Welt“ aufgenommen, doch an der Umsetzung in den Lehrplänen wird in den Ländern noch gearbeitet.

In der ICIL-Studie wird „Computational Thinking“ definiert als „Gesamtheit von Denkprozessen, die genutzt werden, Probleme sowie Verfahren zu deren Lösungen so zu modellieren, dass eine algorithmische Verarbeitung möglich wird.“ Gemeint ist also die Fähigkeit, die Lösung eines Problems in Teilschritte zu zerlegen und diese so zu beschreiben, dass sie von einem Menschen und einer Maschine gelesen werden können. Die besondere Leistung der Studie besteht hier vor allem darin, eine international abgestimmte Begriffsdefinition und Testmodule für diesen Kompetenzbereich zu liefern und so auch für den Schulbereich erstmals umfassendes Steuerungswissen bereitzustellen.

Die Schülerinnen und Schüler in Deutschland erreichten in den Testaufgaben durchschnittlich 486 Kompetenzpunkte. Der Durchschnittswert der teilgenommenen Länder liegt bei 500 Punkten. Am stärksten schneiden die Jugendlichen in der Republik Korea mit 536 Punkten ab, dicht gefolgt von Dänemark mit 527 Punkten. Schlusslicht ist Luxemburg mit 460 Punkten.

Kompetenzen im Bereich „Computational Thinking“

Teilbereich I: Probleme konzeptualisieren

  • Über Wissen und Verständnis von digitalen Systemen verfügen
  • Probleme formulieren und analysieren
  • Relevante Daten erheben und repräsentieren

Teilbereich II: Lösungen operationalisieren

  • Lösungen planen und bewerten
  • Algorithmen, Programme und Schnittstellen entwickeln