Infografik

Deutsches Schulbarometer : Personalnot stellt Schulen vor immer größere Herausforderungen

Der Personalmangel ist in diesem Winter die größte Herausforderung für Schulen in Deutschland. Viele Lehrkräfte können Schülerinnen und Schüler beim Lernen nicht mehr ausreichend unterstützen, an jeder zweiten Schule wurden Schulentwicklungsprozesse gestoppt, um das Personal zu entlasten. Schulleitungen berichten mehrheitlich von einer hohen Arbeitsbelastung und wünschen sich Entlastung insbesondere bei Verwaltungsaufgaben und bei der Bewältigung der Bürokratie. Das sind wichtige Ergebnisse des aktuellen Deutschen Schulbarometers der Robert Bosch Stiftung. Zum ersten Mal wurden dafür Schulleitungen befragt. Das Schulportal fasst die wichtigsten Ergebnisse der Befragung zu den Themen Herausforderungen an Schulen und Lernrückstände zusammen und zeigt sie in mehreren Infografiken.

Schlechtes Abschneiden bei Schulleistungsvergleichen, die Aufnahme einer wachsenden Anzahl geflüchteter Kinder und Jugendlicher an Schulen, die Folgen der Pandemie, Digitalisierungsstau – das sind nur einige der größten Baustellen an Schulen. Problem dabei: All diese Herausforderungen müssen Schulen gleichzeitig bewältigen, und die Ressource, die sie dabei am meisten brauchen, fehlt vielerorts: das Personal. Daher sehen mehr als zwei Drittel der Schulleitungen in Deutschland im Personalmangel derzeit auch die größte Herausforderung für ihre Arbeit.

Das ist ein zentrales Ergebnis des aktuellen Deutschen Schulbarometers im Auftrag der Robert Bosch Stiftung. Forsa hat dafür im November 2022 erstmals Schulleitungen befragt. Im Fokus standen dabei die aktuellen Herausforderungen, mit denen Schulleiterinnen und Schulleiter sich derzeit konfrontiert sehen.

Herausforderungen führen zu hoher Belastung

Der Personalmangel liegt mit 67 Prozent an erster Stelle bei der Frage nach den größten Herausforderungen. An Haupt-, Real- und Gesamtschulen nennen sogar 73 Prozent und an Förderschulen 76 Prozent der Schulleitungen als größtes Problem den Mangel an Lehrkräften und weiterem schulischen Personal. Deutlich seltener genannt werden andere Herausforderungen wie die Digitalisierung, die Bürokratie oder die Aufnahme geflüchteter Schülerinnen und Schüler. Verschärfend kommt hinzu, dass der Personalmangel auch die Schulleitungen selbst betrifft. Bereits in der Lehrkräftebefragung für das Deutsche Schulbarometer vom September 2021 gaben 28 Prozent der Lehrkräfte an, dass es an ihrer Schule im Schuljahr 2020/21 eine Vakanz in der Schulleitung gab. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der unbesetzten Stellen in der Schulleitung noch weiter gestiegen ist.

Die dünne Personaldecke führt zu einer enormen Arbeitsbelastung. Bei der Befragung im November 2022 schätzten 95 Prozent der Schulleitungen ihre Arbeitsbelastung als sehr hoch (59 Prozent) oder hoch (36 Prozent) ein. Dabei gibt es kaum Unterschiede zwischen den Schularten. 97 Prozent der Schulleiterinnen und Schulleiter an Grundschulen beschreiben ihre Arbeitsbelastung als sehr hoch oder hoch, an Gymnasien und Förderschulen sind es jeweils 91 Prozent.

Mit Blick auf die größten Herausforderungen, vor denen Schulleitungen stehen, ist es nicht überraschend, dass sich 41 Prozent der Befragten zur Entlastung mehr Personal wünschen. 34 Prozent würden gern mehr Leitungsstunden haben, um ihre Aufgaben bewältigen zu können. 28 Prozent hätten gern mehr Unterstützung bei der Verwaltungsarbeit, und für jede vierte Schulleitung würde weniger Bürokratie entlastend sein, um den Schulalltag besser bewältigen zu können. „Weniger bürokratischer Aufwand könnte die aktuelle Personalnot an den Schulen zumindest lindern, indem beispielsweise die Anstellung von Unterstützungsfachkräften in der Verwaltung, von pädagogischen Assistenzkräften oder ausländischen Lehrkräften erleichtert wird“, sagt Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung.

An Gymnasien ist Wunsch nach weniger Bürokratie besonders groß

Bei den Wünschen, was zur Entlastung beitragen könnte, zeigen sich allerdings Unterschiede zwischen den Schularten. Während Schulleitungen von Grundschulen vor allem auf mehr Personal (46 Prozent) und mehr Leitungsstunden (48 Prozent) drängen, steht bei Schulleitungen an berufsbildenden Schulen mit 39 Prozent und an Gymnasien mit 35 Prozent die Unterstützung bei Verwaltungstätigkeiten ganz oben auf der Wunschliste. An beiden Schularten gehört auch der Wunsch nach weniger Bürokratie zu den Top 3, und dazu passend wünschen sich besonders Schulleiterinnen und Schulleiter an berufsbildenden Schulen (15 Prozent) und an Gymnasien (12 Prozent) zu ihrer Entlastung Veränderungen auf der Ebene der Bildungspolitik und Verwaltung.

56 Prozent der Schulleitungen geben an, dass an ihrer Schule die Lernstände aller Schülerinnen und Schüler erfasst werden, um eine kompetenzorientierte Einstufung vornehmen zu können. An Grund- und Förderschulen werden laut Schulbarometer am häufigsten Lernstandserhebungen vorgenommen. Mehr als zwei Drittel der Förderschulen (70 Prozent) und Grundschulen (67 Prozent) erfassen demnach die Lernstände der Kinder. An Haupt-, Real- und Gesamtschulen sind es 56 Prozent, an Gymnasien weniger als die Hälfte (46 Prozent) und an berufsbildenden Schulen nur 29 Prozent.

Ein Drittel der Schülerinnen und Schüler hat deutliche Lernrückstände

Insgesamt gehen die befragten Schulleitungen davon aus, dass ein erheblicher Teil der Schülerschaft auch fast drei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie deutliche Lernrückstände hat. Schulleitungen schätzen, dass es im Schnitt 35 Prozent der Schülerinnen und Schüler sind. Besonders groß ist dieser Anteil an Haupt-, Real- und Gesamtschulen (42 Prozent) sowie berufsbildenden Schulen (40 Prozent). An Gymnasien (26 Prozent) und Grundschulen (27 Prozent) liegt er hingegen unter dem Durchschnitt.

Das Ziel, insbesondere sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche zu unterstützen, wurde weit verfehlt.
Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung

Noch größer ist das Gefälle, wenn man den Anteil der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, deren Eltern Sozialtransferleistungen beziehen. Dort wo der Anteil an einer Schule unter 25 Prozent liegt, haben nach Aussage der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter insgesamt 24 Prozent der Schülerinnen und Schüler deutliche Lernrückstände. Liegt der Anteil über 50 Prozent, sind es insgesamt 65 Prozent. „Das Ziel, insbesondere sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche zu unterstützen, wurde weit verfehlt, weil alle Schulen über einen begrenzten Zeitraum Fördermittel nach dem sogenannten Gießkannenprinzip erhalten haben“ kommentiert Dagmar Wolf.

Überfordert, Lernrückstände zu kompensieren

Auffällig ist auch der Zusammenhang von Lernrückständen und Familiensprache. Dort wo der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit einer anderen Familiensprache als Deutsch an einer Schule unter 25 Prozent liegt, verzeichnen insgesamt 27 Prozent der Schulleitungen deutliche Lernrückstände. Wo mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler eine andere Familiensprache sprechen, gehen die Schulleitungen davon aus, dass 54 Prozent der Schülerschaft deutliche Lernrückstände aufweisen.

Viele Schulen sind offenbar auch damit überfordert, die Lernrückstände zu kompensieren. So sagen 78 Prozent der Schulleitungen, dass ihre Schule trotz aller Bemühungen den Schülerinnen und Schülern nicht die adäquate Unterstützung beim Lernen gibt, die sie benötigen. Mehr als jede zweite Schulleitung (53 Prozent) glaubt sogar, dass ihre Schule die Schülerinnen und Schüler mit den größten Lernrückständen nicht erreichen konnte.

Im Vergleich der Schularten ist das Problem an Haupt-, Real- und Gesamtschulen offenbar besonders gravierend: Hier sagen 84 Prozent, dass sie keine adäquate Unterstützung beim Lernen geben können, und 63 Prozent der Schulen können die Schülerinnen und Schüler mit den größten Lernrückständen nicht erreichen.

Corona-Aufholprogramme haben vielerorts Ziel verfehlt

Nur ein Drittel (32 Prozent) der befragten Schulleitungen ist der Ansicht, dass ihre Schule durch zusätzliche Fördermittel und Corona-Aufholprogramme die Lernrückstände verringern kann. Deutlich sind dabei die Unterschiede zwischen den Schularten: 42 Prozent der Schulleitungen an Gymnasien stimmen dieser Aussage zu. An Haupt-/Real- und Gesamtschulen gehen allerdings nur 30 Prozent und an Förderschulen nur 26 Prozent davon aus, dass die Aufholprogramme eine entsprechende Wirkung erzielt haben. Und an Schulen, wo über 50 Prozent der Eltern Hartz IV oder Sozialhilfe beziehen, berichtet ebenfalls nur knapp ein Viertel (23 Prozent) der Schulleitungen von einer deutlichen Verringerung der Lernrückstände durch die Förderprogramme. 70 Prozent der Schulleitungen sehen weiteren Bedarf an Fördermitteln zur Bewältigung der coronabedingten Lernrückstände.

Das Schulbarometer unterstreicht damit noch mal eindrücklich, was schon eine Studie zum Corona-Aufholprogramm des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung im Herbst 2022 herausgearbeitet hat: Das zwei Milliarden Euro schwere Programm hat die Schülerinnen und Schüler, die am nötigsten Unterstützung gebraucht haben, offensichtlich kaum erreicht. Das Hauptproblem ist demnach, dass die Mittel nicht bedarfsgerecht verteilt wurden: „Letztlich hat man immer versucht, es allen ein Stück weit recht zu machen, und hat die Mittel ,mit der Gießkanne‘ verteilt“, sagte Marcel Helbig, Sozialwissenschaftler und Autor der Studie im Interview mit dem Schulportal.

Trotz des großen Personalmangels und der hohen Arbeitsbelastung an Schulen gaben in der Befragung für das Deutsche Schulbarometer 86 Prozent der Schulleitungen an, dass an ihrer Schule derzeit Schulentwicklungsprozesse stattfinden. Besonders hoch ist der Anteil dabei mit 95 Prozent an berufsbildenden Schulen und mit 94 Prozent an Gymnasien, niedriger dagegen an Grundschulen mit nur 80 Prozent.

An neuen Prüfungsformaten arbeiten nur wenige Schulen

Den Ergebnissen des Deutschen Schulbarometers zufolge finden die meisten Schulentwicklungsprozesse im Bereich Digitalisierung statt. Auch hier sind die Werte an berufsbildenden Schulen (mit 89 Prozent) und an Gymnasien (mit 87 Prozent) am höchsten und mit 60 Prozent an Grundschulen am niedrigsten. Auf Platz zwei der Themen steht die Unterrichtsentwicklung. Damit beschäftigt sich laut Schulbarometer jede zweite Schule (54 Prozent). Die Spanne zwischen den Schulen ist hier ähnlich groß wie bei der Digitalisierung. Mit 76 Prozent ist der Anteil an berufsbildenden Schulen am größten und mit 47 Prozent an Grundschulen am niedrigsten.

Das Thema Personalentwicklung steht bei den Schulentwicklungsprozessen auf Position drei. Auch hier findet mehr an berufsbildenden Schulen (61 Prozent) und an Gymnasien (54 Prozent) statt als an Grundschulen (32 Prozent). Mit der Weiterentwicklung von Prüfungsformaten beschäftigen sich im Rahmen der Schulentwicklung nur 7 Prozent der Schulen.

Das Deutsche Schulbarometer auf einen Blick

  • Für das aktuelle Deutsche Schulbarometer hat Forsa im Auftrag der Robert Bosch Stiftung Schulleitungen befragt. Im Fokus der Befragung standen die aktuellen Herausforderungen, vor denen Schulleiterinnen und Schulleiter in diesem Schuljahr stehen: die Lernrückstände der Schülerinnen und Schüler, die Versorgung durch Schulsozialarbeit und Schulpsychologie sowie die Aufnahme und das Unterrichten geflüchteter Kinder und Jugendlicher.
  • Die repräsentative bundesweite Befragung von Schulleitungen fand vom 31. Oktober bis 16. November 2022 statt. Insgesamt wurden 1.055 Schulleitungen an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen befragt.
  • Die ermittelten Ergebnisse sind unter Berücksichtigung der bei allen Stichprobenerhebungen möglichen Fehlertoleranzen (im vorliegenden Fall +/-3 Prozentpunkte) repräsentativ für die Gesamtheit der Schulleitungen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Deutschland.
  • Zum aktuellen Deutschen Schulbarometer hat die Robert Bosch Stiftung auch ein Factsheet veröffentlicht. Es steht hier zum Download bereit:
  • Die Robert Bosch Stiftung lässt seit 2019 regelmäßig repräsentative Befragungen zur aktuellen Situation der Schulen in Deutschland durchführen, die als „Deutsches Schulbarometer“ veröffentlicht werden. Einen Überblick über alle bislang veröffentlichten Befragungen sind hier zu finden: