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Studie : Schulleitungen verlieren Vertrauen in die Verwaltung

In der Pandemie hat das Verhältnis zwischen Schulleitung und Schulverwaltung massiv gelitten. Der Vertrauensverlust in die Administration beträgt laut einer neuen Umfrage 10 Prozent. Sie ist Teil einer Längsschnittstudie, in der Bildungsforscher von drei Hochschulen seit 2019 die Arbeitssituation von Schulleitungen in den Blick nehmen. Nach den Umfrageergebnissen, die dem Schulportal vorliegen, vertraut nur etwa die Hälfte der Schulleiterinnen und Schulleiter den zuständigen Personen in der Administration in Bezug auf deren Integrität. Das Schulportal sprach mit den an der Studie beteiligten Bildungsforschern Marcus Pietsch und Colin Cramer über die Ursachen des Vertrauensverlusts und Wege aus der Krise.

Grafik Vertrauen Schulverwaltung Schulleitung Tortendiagramme
©Pia Bublies

Deutsches Schulportal: Seit 2019 befragen Sie Schulleitungen anhand einer repräsentativen Zufallsstichprobe zu deren Arbeitssituation. Was hat sich zwischen den drei Befragungszeitpunkten 2019, 2020 und 2021 besonders verändert?
Marcus Pietsch: Beim ersten Befragungszeitpunkt 2019 haben Schulleitungen vor allem das Alltagsgeschäft abgearbeitet. Für diese Aufgaben waren sie vorbereitet und hatten das entsprechende Wissen. Das hat sich durch die Corona-Pandemie stark geändert. Da sind viele neue Dinge hinzugekommen, auf die Schulleitungen nicht vorbereitet waren. Sie mussten Neues ausprobieren – das explorative Verhalten stand im Vordergrund.

Überrascht hat uns aber vor allem, dass sich hinsichtlich der Arbeitszufriedenheit kaum etwas verändert hat. Die meisten Schulleitungen machen ihren Job nach wie vor gern.

Colin Cramer: Auch was die Stressbelastung anbelangt, hatte die Corona-Pandemie zunächst kaum Auswirkungen. Während der ersten Schulschließungen haben Schulleitungen sogar gesagt, sie seien weniger beansprucht als vor der Krise. Das lag daran, dass sie zunächst davon ausgingen, dass die Schulschließungen nur kurz dauern würden. Sukzessive gelangten sie aber zu der Erkenntnis, dass sie eine längerfristige Perspektive brauchen. Durch die damit verbundenen Herausforderungen nehmen sich Schulleitungen heute als stärker beansprucht wahr als vor Beginn der Krise.

Geändert hat sich aber offenbar das Verhältnis zwischen Schulleitung und Verwaltung. Die jüngste Erhebung Ihrer Schulleitungsstudie zeigt, dass während der Corona-Pandemie das Vertrauen zwischen Schulleitungen und Schulverwaltung stark gelitten hat. Woran liegt das?
Cramer: Schulleitungen haben sich in der Pandemie offenbar nicht ausreichend unterstützt gesehen. Sie bemängeln, dass wichtige Entscheidungen spät kommuniziert wurden und auch die Form der Kommunikation nicht zufriedenstellend war. Manche Vorgaben blieben diffus, viele Entscheidungen gingen über mehrere Instanzen und widersprachen einander teils, viele Fragen blieben ungeklärt. Das hat zu erheblichem Unmut geführt …

Pietsch: … weil Schulleitungen den Eindruck gewonnen haben, dass sich die Administration weniger als zuvor für das Wohl der Schule einsetzt und nicht ehrlich ist in ihren Entscheidungen. Am stärksten ist der Vertrauensverlust aber bei der Einschätzung der Kompetenz. Hier hat das Vertrauen um fast 10 Prozent abgenommen. Erstaunlich aber ist, dass das Vertrauen der Schulleitungen in die Kollegien in derselben Zeit stabil geblieben ist.

Zwischen Schulleitung und Kollegium ist das Vertrauen stabil geblieben

Wie erklären Sie sich das? Was lief in der Zusammenarbeit innerhalb der Schulen besser als zwischen Schulleitung und Verwaltung?
Cramer: Mit der Corona-Pandemie wirkte ein massiver Einfluss von außen auf die Schulen ein und hat das eigentlich relativ veränderungsresistente System aufgerüttelt. Um dem standzuhalten, musste man in der Schule zusammenrücken, sich aufeinander verlassen und gemeinsam neue Wege finden, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Durch diese Erfahrung hat sich das Kollegium in vielen Schulen vermutlich sogar stabilisiert.

Die Administration muss man allerdings auch ein Stück weit in Schutz nehmen. Sie steht als Steuerungsinstanz in der Corona-Pandemie zwischen „Top“ und „Down“. Viele Entscheidungen konnte sie nicht allein treffen, sondern war abhängig von Informationen, beispielsweise aus verschiedenen Ministerien.

Aus meiner Sicht ist die Schulaufsicht in der Verantwortung, nach der Pandemie nicht „business as usual“ zu machen, sondern die Erfahrungen und Spannungen zu analysieren und Erkenntnisse daraus zu ziehen.
Colin Cramer, Universität Tübingen

Trifft der Vertrauensverlust auf alle Schulen gleichermaßen zu, oder lässt sich hier zwischen Schularten differenzieren?
Pietsch: Das Vertrauen hat besonders an Sekundarschulen gelitten. Also gerade dort, wo die Systeme groß sind und es schwieriger ist, den Laden zusammenzuhalten. Groß ist der Vertrauensverlust außerdem bei Schulen in sozial schwieriger Lage. Schulleitungen hätten sich hier mehr Unterstützung gewünscht, weil sie es häufig allein nicht schaffen konnten, die zusätzlichen Probleme aufzufangen und alle Schülerinnen und Schüler zu erreichen. An diesen sehr belasteten Schulen ist nicht nur das Vertrauen in die Administration, sondern vielfach auch das in die Kollegien verloren gegangen.

Für die Schulentwicklung braucht es Vertrauen

Wie lässt sich Vertrauen in die Schulverwaltung zurückgewinnen?
Cramer: Es braucht vor allem eine Aufarbeitung von dem, was in der Pandemie passiert ist. Da ist aus meiner Sicht die Schulaufsicht in der Verantwortung, nach der Pandemie nicht „business as usual“ zu machen, sondern die Erfahrungen und Spannungen zu analysieren und Erkenntnisse daraus zu ziehen. Das ist auch eine Chance, mehr miteinander ins Gespräch zu kommen.

Pietsch: Wie man Vertrauen reparieren kann, ist auch abhängig davon, wo das Vertrauen verloren gegangen ist. Wenn an der Kompetenz gezweifelt wurde, reicht manchmal eine Bitte um Entschuldigung, dass man es in der Situation eben nicht besser wissen und entscheiden konnte. Problematischer wird es, wenn es um Integrität und Wohlwollen geht. Da ist der Gesprächsbedarf größer. Und es kommt dann darauf an, das Vertrauen systematisch wiederherzustellen – durch Kooperation, Monitoring, gemeinsame Verträge oder verbindliche Absprachen.

Was sind die Folgen, wenn das Vertrauen zwischen Schulleitung und Schulverwaltung fehlt?
Pietsch: Schulleitungen und Administration sind darauf angewiesen, auch in Zukunft weiter miteinander zu arbeiten, um Schule weiterzuentwickeln und gemeinsam Ziele zu entwerfen. Wenn das Vertrauen in die Kompetenz, die Ehrlichkeit und das Wohlwollen fehlt, funktioniert das nicht.

Cramer: Schule darf sich nicht als eine völlig abgekapselte Institution verstehen. Sie steht weiterhin in vielfältigen Bezügen zu anderen Instanzen im Bildungssystem. Daher ist es auch keine Option, sich als Schule auf sich selbst zurückzuziehen.

Schulleitungen mussten neue Mechanismen entwickeln, um alle zu erreichen und das Lernen anders zu gestalten. Ihre Position hat sich dadurch massiv gestärkt.
Marcus Pietsch, Universität Lüneburg

Brauchen Schulen mehr Autonomie?
Cramer: Sicherlich wurde die Schulautonomie in der Pandemie gestärkt. Die Frage ist jetzt aber nicht: Brauchen Schulen mehr Autonomie? Sondern: Wie kann die Administration die Schulen bei der Umsetzung ihrer individuellen Lösungswege bestmöglich unterstützen?

In der Pandemie haben Schulen individuelle Lösungen für Situationen gefunden, die es vorher noch nicht gegeben hat. Und die Schulverwaltung hat wahrgenommen, dass sie selbst begrenzten Einfluss auf das System hat. Wenn sie in der Pandemie alles besser gewusst hätte als die einzelne Schule, hätte sie wahrscheinlich stärker gesteuert und auch steuern müssen.

Daher sollte die Verwaltung Schulen im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs gewähren lassen, bürokratische Hürden nehmen und wertschätzen, welche enormen Investitionen und Kraftanstrengungen Schulen und Schulleitungen in der Pandemie unternommen haben. Das ist im Übrigen auch ein wichtiger Punkt bei der Rückgewinnung des Vertrauens.

Gehen Schulleitungen gestärkt aus der Krise hervor?
Pietsch: Ja. In der Pandemie hat sich gezeigt, welch große Führungsverantwortung Schulleitungen für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler haben. Sie mussten neue Mechanismen entwickeln, um alle zu erreichen und das Lernen anders zu gestalten. Ihre Position hat sich dadurch massiv gestärkt.

Cramer: Es wird daher nicht einfach sein, Schulleitungen jetzt zu sagen: „Vielen Dank für euer Engagement, aber nun haben wir wieder andere Zeiten, und tut jetzt bitte wieder einfach, was wir von euch verlangen.“ Das Verhältnis zwischen Schulleitung und Administration muss neu austariert werden.

Ein besonderes Phänomen: Stark beansprucht, aber trotzdem zufrieden

Jede fünfte Schulleitung hat schon vor der Corona-Pandemie überlegt, die Schule oder den Job zu wechseln. Rechnen Sie damit, dass diese Quote vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und vor dem Hintergrund der Vertrauenskrise weiter steigt?
Pietsch: Tatsächlich gibt es zwei Gruppen: Die Schulleitungen, die auch vor der Pandemie ihren Job gern gemacht haben, stehen ihm auch heute positiv gegenüber. Diejenigen, die ihren Posten schon vorher verlassen wollten, wollen es nun umso mehr. Besonders ausgeprägt sehen wir das in unserem Längsschnitt bei Schulleitungen, die Vertrauen sowohl ins Kollegium als auch in die Administration verloren haben. Das ist vor dem Hintergrund, dass viele Schulleitungen fehlen, ein großes Problem. Und vor allem ist es ein großes Problem für Schulen in sozial schwieriger Lage.

Cramer: Es gibt aber auch eine Komponente, die das ein Stück weit aufwiegen könnte. Schulleitungen haben sich in der Pandemie als selbstwirksam erlebt, sie haben gemerkt, dass sie durch das eigene Steuerungshandeln das System trotz größter Barrieren am Leben erhalten und verändern können. Das ist eine Erfahrung, die Schulleitungen außerhalb der Pandemie nicht in dieser eindrücklichen Weise machen konnten. Daher gibt es das Phänomen: stark beansprucht, aber trotzdem zufrieden. Das könnte dazu führen, dass bei vielen Schulleitungen die Berufszufriedenheit sogar wächst. Aber das ist eine Vermutung. Dazu wissen wir vielleicht in zwei Jahren mehr.

Zur Person

Colin Cramer
Colin Cramer
  • Colin Cramer hat am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Tübingen den Lehrstuhl für „Professionsforschung unter besonderer Berücksichtigung der Fachdidaktiken“ inne.
  • Er forscht unter anderem zu Schulleitungen und zur Professionalisierung von Lehrpersonen.
Marcus Pietsch
Marcus Pietsch
  • Marcus Pietsch ist Professor für Bildungswissenschaft, insbesondere Bildungsmanagement und Qualitätsentwicklung, an der Leuphana Universität Lüneburg.
  • Er forscht zu Schulleitungen, zu Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie zu Reformmaßnahmen im Bildungssystem.