Studie : „Eine bundeseinheitliche Lernplattform wird es nicht geben“

Bundesländer und Kommunen haben eine kaum überschaubare Vielfalt an Lernmanagementsystemen aufgebaut. Häufig unterscheiden sich die Systeme sogar innerhalb einer Kommune je nach Schulformen. Dabei funktionieren einige besser, andere weniger gut. Ist das sinnvoll? Oder sollte es künftig ein bundeseinheitliches Lernmanagementsystem geben, das den Anforderungen einer lernförderlichen IT-Struktur entspricht? Eine Studie im Auftrag der Telekom Stiftung hat auf diese Fragen Antworten gesucht. Über die Ergebnisse sprach das Schulportal mit Thomas de Maizière, dem Vorsitzenden der Deutschen Telekom Stiftung.

Schüler zeigt auf ein Tablet mit der Lernplattform Moodle
Schülerinnen und Schüler verschiedener Städte oder Schulformen arbeiten mit unterschiedlichen Lernplattformen, ohne dass es Schnittstellen oder gemeinsame Standards gibt.
© Uli Deck/dpa

Schulportal: Die Deutsche Telekom Stiftung hat das Institut für Informationsmanagement an der Universität Bremen (ifib) beauftragt, die digitalen Lernplattformen, die in den Bundesländern genutzt werden, zu untersuchen. Welche Bundesländer sind besonders gut aufgestellt?
Thomas de Maizière: Das ifib hat in der Studie nicht die Qualität bewertet und auch nicht untersucht, wie die Lernmanagementsysteme in den Schulen tatsächlich genutzt werden. Untersucht wurde vielmehr die Architektur, die unterschiedlichen Modelle und Systeme.  Dabei hat sich gezeigt, dass die Länder, die vor Corona schon mit dem Aufbau des Lernmanagementsystems angefangen hatten, besser aufgestellt waren – wir reden über Bayern, Bremen, Hamburg und Sachsen.

Offenbar ist es nicht so, dass die großen Bundesländer hier automatisch die Nase vorn haben, weil sie über die entsprechenden Mittel verfügen.
Ja, so ist es. Bemerkenswert ist, dass das kleine Bundesland Bremen, das sonst im Bildungsbereich oft auf den hinteren Plätzen landet, hier ganz vorn dabei ist. Auch Sachsen ist ja kein besonders großes Bundesland, gehört aber zu den Vorreitern. Das zeigt: Auf die Größe des Bundeslandes kommt es nicht an.

Was macht ein gutes Lernmanagementsystem aus technischer Sicht aus? Welchen Anforderungen sollte es genügen?
Erstens sollte es natürlich erreichbar sein. Das heißt, die Schulen brauchen einen entsprechenden Breitbandanschluss.

Zweitens muss das System auch verfügbar sein. Das heißt, es darf nicht zusammenbrechen, wenn sehr viele Schülerinnen und Schüler es nutzen. Zu Beginn der Schulschließungen waren viele Systeme überfordert.

Und drittens: Ein Lernmanagementsystem muss voll integriert sein. Alle Bausteine, die für gutes Lernen notwendig sind, sollten darin enthalten sein. Dazu gehören zum Beispiel eine Videoplattform, ein Klassenraumkonzept, ein Stundenplantool, ein Messengerdienst oder auch Bewertungsmethoden und die Abrufbarkeit von Inhalten von außen. Für eine Lehrkraft ist es wichtig, dass sie nicht auf viele verschiedene Systeme zugreifen muss, sondern alles, was sie für guten Unterricht im digitalen Zeitalter braucht, in einem System findet.

Alle 16 Länder haben unterschiedliche Systeme, in einigen können mehrere parallel von den Schulen genutzt werden. Wäre es nicht sinnvoll, wenn sich alle Länder auf eine einheitliche Lernplattform einigen, um beispielsweise auch den Schulwechsel zu erleichtern?
Eine bundeseinheitliche Lernplattform wird es nicht geben, dafür sind die Startpositionen in den Ländern zu unterschiedlich gewesen. Inzwischen haben sich zu viele praxistaugliche Systeme etabliert – nicht nur in den 16 Ländern, auch große Kommunen haben eigene Lernplattformen entwickelt. Das wieder rückgängig zu machen wäre nicht Erfolg versprechend.  Die Vorstellung, man könne eine Schulcloud top-down bundesweit durchsetzen, hat sich als Illusion erwiesen. Ich halte das aber nicht für eine schlechte Nachricht.

Sie fordern stattdessen gemeinsame Standards und Schnittstellen für die verschiedenen Systeme. Warum ist das nötig, und was genau ist damit gemeint?
Wenn wir davon ausgehen, dass es keine bundeseinheitliche Lernplattform geben wird, ist es unbedingt nötig, dass die Systeme untereinander Schnittstellen haben und dass es ein einheitliches Identifikations-Management für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler gibt. So wäre es zum Beispiel möglich, von anderen Lernplattformen zu profitieren oder Zugang zu gemeinsamen überregionalen Angeboten zu haben. Die Kultusministerien der Länder sind ja beispielsweise dabei, mit der überregionalen Plattform mundo.schule eine Art Zentralbibliothek digitaler Medien für Schulen aufzubauen. Ich bin froh, dass die Länder an diesen Fragen arbeiten und die Entwicklung der Schnittstellen und des Identifikations-Managements bereits in Auftrag gegeben haben. Das muss jetzt umgesetzt werden, auch in Bezug auf den Datenschutz ist das wichtig.

Ist die Verständigung auf gemeinsame Standards überhaupt möglich, wenn sich nicht einmal die Datenschutzbeauftragten der Länder bei ihren Bewertungen der digitalen Tools für Schulen einig sind?

Die Datenschutzbeauftragten der Länder sind sich bei der Bewertung verschiedener Kommunikationsplattformen wie etwa „Zoom“ oder „Teams“ im Schulbereich bisher nicht einig geworden. Im Hochschulbereich ist das klarer. Ich finde, es ist nicht zu viel verlangt, dass die Datenschutzbeauftragen der Länder bei einer europäischen Datenschutzgrundverordnung sich hier bundesweit einigen. Was die zu schaffenden Schnittstellen und das Identifikations-Management betrifft, ist es klug, die Datenschutzbeauftragten von Anfang an miteinzubeziehen, so dass sie am Ende auch mit der entsprechenden Konfiguration einverstanden sind. Wenn sich hier schon die 16 Kultusministerien auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt haben, sollten auch die Datenschutzbeauftragten der Länder hier schnell und gemeinsam agieren.

Insgesamt bewertet die Studie den Ausbau der Lernmanagementsysteme in Deutschland im internationalen Vergleicht als eher zögerlich. Woran liegt es, dass das so lange dauert?

Das ifib hat festgestellt, dass Deutschland schon vor Corona bei den Lernmanagementsystemen einen Rückstand von etwa zehn Jahren hatte, gemessen an international vergleichbaren Staaten. Da ist natürlich während Corona viel aufgeholt worden, dennoch geht es zu langsam. Der Rückstand liegt nicht etwa an den fehlenden Angeboten oder an unfähigen Ingenieuren. Er liegt – wie auch bei der schleppenden Digitalisierung der Verwaltung – an den komplexen Abstimmungswegen zwischen Bund und Ländern einerseits und zwischen den Ländern und Kommunen andererseits. Da ist das zentrale Nadelöhr auch bei der Digitalisierung im Bildungsbereich. Das muss dringend angegangen werden, sonst werden wir den Rückstand nie aufholen.

Wie kann das denn aus Ihrer Sicht angegangen werden?
Bei anderen Vereinheitlichungen von Verfahren, beispielsweise beim digitalen Steuersystem Elster, hat es auch deshalb so lange gedauert, weil die Einigung immer auf Einstimmigkeit abzielte und weil die Beschlüsse der Gremien nicht verbindlich waren. Deshalb brauchen wir für diese Abstimmungsverfahren andere Mechanismen, etwa das Mehrheitsprinzip und die verbindliche Umsetzung dessen, was beschlossen wurde. Das muss der Bund nicht vorgeben. Die Länder können das sehr gut allein entscheiden. Das klingt einfach, aber es würde tatsächlich eine massive Veränderung bedeuten, möglicherweise wäre dafür auch eine Änderung im Grundgesetz nötig. Aber anders geht es nicht, sonst kommen wir mit der Digitalisierung nicht voran, auch über den Bildungsbereich hinaus.

 

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Als Lernmanagementsystem (LMS) wird in dieser Studie die Gesamtheit der zur Verfügung stehenden Plattformen, Dienste, Softwarelösungen, Lerntools und Bildungsmedien bezeichnet, die die inhaltliche und organisatorische Arbeit sowie die Kollaboration im pädagogischen Schulbetrieb für Lehrkräfte, Schülerschaft und ggf. weitere Akteurinnen und Akteure maßgeblich unterstützt. In Abgrenzung dazu wird der Begriff Lernplattform verwendet. Die Lernplattform bildet den Kern des Systems und enthält die zentralen Funktionen für das Lernen mit digitalen Medien und das kollaborative Arbeiten. Auch sind andere Komponenten des LMS meistens über die Lernplattform zugänglich.

Der komplette ifib-Ergebnisbericht steht bereit unter www.telekom-stiftung.de/lernplattformen.

Zur Person

©Kay Nietfeld/dpa

Thomas de Maizière ist seit November 2018 Vorsitzender der gemeinnützigen Deutsche Telekom Stiftung.

Zuvor besetzte der CDU-Politiker unter anderem das Amt des Bundesinnenministers und das Amt des Bundesverteidigungsministers.