Debatte : Demokratiebildung braucht mehr Verbindlichkeit

Bildungsforscherin Anne Sliwka fordert klare Standards für Demokratiebildung an Schulen. KMK-Präsident Helmut Holter regt an, Demokratiepädagogik verbindlich in die Lehrkräfteausbildung zu integrieren und Schülervertreter Lucas Valle Thiele wünscht sich mehr Zeit für kontroverse Diskussionen in der Schule. Unter dem Motto „Demokratie will gelernt sein“ wurden auf einer Podiumsdiskussion in Berlin Wege für eine bessere Demokratiebildung in der Schule diskutiert.

Podiumsdiskussion mit vier Diskutanten vor einer Wand mit dem Schriftzug Demokratie will gelernt sein.
Helmut Holter (KMK-Präsident), Anne Sliwka (Bildungsforscherin) und Lucas Valle Thiele (Schülervertreter) und Jeannette Otto (Moderatorin) diskutierten darüber, wie Demokratiebildung an Schulen besser werden kann.
©Frederik Ferschke
KMK-Präsident Helmut Holter
KMK-Präsident Helmut Holter (Linke) hat das Thema Demokratie zum Schwerpunkt seiner Präsidentschaft gemacht.
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Lucas Valle Thiele
Der 17-jährige Lucas Valle-Thiele fordert mehr Aufklärung über MItbestimmungsmöglichkeiten an Schulen.
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Anne Sliwka
Bildungsforscherin Anne Sliwka von der Universität Heidelberg spricht sich für klare Standards aus, die regelmäßig überprüft werden.
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Das Thema, das am 5. Dezember in der Repräsentanz der Vodafone Stiftung in Berlin diskutiert wurde, ist brisant: „Demokratie will gelernt sein”. Antisemitische Sprüche auf dem Schulhof, Hitlergruß im Klassenzimmer oder religiöses Mobbing – demokratische Grundwerte müssen immer wieder verteidigt werden, nicht nur in der Schule. Nach den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz regte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sogar ein Gesetz zur Förderung der Demokratie an. Die Kultusministerkonferenz (KMK) verabschiedete im Oktober neue Empfehlungen zur Stärkung der Demokratiebildung an Schulen. Reicht das aus? Was muss sich ändern, damit wirklich alle Schülerinnen und Schüler Demokratie selbst erleben und demokratisches Handeln lernen können?

Mehr als nur ein Schlagabtausch

Auf dem Podium der Diskussionsrunde, die von der Initiative Klickwinkel der Vodafone Stiftung veranstaltet wurde, saßen der KMK-Präsident Helmut Holter, die Bildungsforscherin Anne Sliwka und der Berliner Landesschülervertreter Lucas Valle Thiele. Dabei ging es in der von ZEIT-Redakteurin Jeannette Otto moderierten Runde um mehr als um einen Schlagabtausch bekannter Argumente – vielmehr wurden von den Beteiligten mögliche Lösungswege gesucht und auch benannt.

Helmut Holter (Linke), Kultusminister in Thüringen, hatte das Thema Demokratie zum Schwerpunkt seines Präsidentschaftsjahres in der KMK gemacht und damit offenbar einen Nerv in der Gesellschaft getroffen: „Ich habe erlebt, dass man sehr wohl Debatten anschieben kann“, sagte Holter. Und diese gingen in den vergangenen Monaten häufig hoch her. Der Vorschlag von Holter, verstärkt Schüleraustausche zwischen Ost-  und Westdeutschland  zu organisieren, erhitzte ebenso die Gemüter wie die Diskussion um ein Pflichtbesuch für alle Schülerinnen und Schüler in einer KZ-Gedenkstätte. Wenn es um Verpflichtungen geht, gibt es offenbar schnell Gegenwind.

Standards statt „Projektitis” in der Demokratiebildung

Dabei mangelt es, wenn es nach Bildungsforscherin Anne Sliwka geht, gerade an der Verbindlichkeit in der Demokratiebildung. Es gebe zwar viele gute Projekte, ja sogar eine „Projektitis“ in diesem Bereich, aber diese würden kommen und gehen, sagte Sliwka. Wichtig sei es, feste Standards zu setzen und diese auch zu überprüfen. In Kanada etwa gebe es an Schulen ein standardisiertes Verfahren, das greift, wenn rassistische Äußerungen von Kindern oder Lehrkräften gemacht werden. Zudem würden alle Schülerinnen und Schüler einmal pro Jahr befragt – auch dazu, ob sie eigene Ideen in den Schulalltag einfließen lassen können oder, ob sie Mobbing erlebt haben. Diese Daten würden ausgewertet und anhand der Ergebnisse werden verbindliche Entwicklungsziele für jede Schule formuliert. Menschen seien immer gefährdet, in prekären Situationen emotional zu reagieren. Deshalb sei es wichtig, dass starke gesellschaftliche Institutionen mit klaren Regeln die Menschen auffangen, sagte die Bildungsforscherin.

Lehrkräfte haben als Staatsbedienstete die Pflicht, die Demokratie zu verteidigen.
Helmut Holter, Präsident der Kultusministerkonferenz

Holter betonte, dass es durchaus Verbindlichkeiten gebe. „Lehrkräfte haben als Staatsbedienstete die Pflicht, die Demokratie zu verteidigen“, sagte Holter. Außerdem erinnerte der KMK-Präsident daran, dass mehrere Bundesländer in diesem Jahr entschieden hätten, antisemitische oder rassistische Vorfälle an Schulen ähnlich wie Gewaltvorfälle an die Schulbehörde zu melden. Der KMK-Präsident regte an, dass jede angehende Lehrkraft während der Ausbildung verbindlich einen Kurs zum Thema Demokratiebildung durchlaufen sollte.

Demokratiebildung braucht Zeit

Die Erfahrungen des 17-jährigen Schülervertreters, Lucas Valle Thiele, zeigen, dass Demokratiebildung im Schulalltag häufig vernachlässigt wird. „Viele Lehrerinnen und Lehrer wollen lieber ihren Stoff durchkriegen, als kontroverse politische Diskussionen zu führen“, sagte der Schülervertreter. Demokratiebildung brauche auch Zeit, die in den Lehrplänen eingeplant werden müsse. Außerdem brauchen Schülerinnen und Schüler mehr Aufklärung über die Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule, forderte der Berliner Schüler. Nicht selten würden Schülervertretungen auch auf Widerstände in der Schulleitung oder bei den Lehrkräften stoßen, wenn sie Änderungen durchsetzen wollen. „Ich würde mir wünschen, dass Lehrerinnen und Lehrer Partizipation als etwas Wertvolles wahrnehmen“, sagte Lucas Valle Thiele.