Hospitation : Das Prinzip Lernreise: Im Studium von guten Schulen lernen

Eigentlich ist das „Prinzip Lernreise“ ein junges Format für Lehramtsstudierende. Die angehenden Lehrkräfte haben dabei die Chance, erfolgreiche Schulen kennenzulernen. Nun haben zum ersten Mal auch Dozierende aus der universitären Lehramtsausbildung an dem studentisch initiierten Format, das seit Herbst 2017 in Kooperation mit der Deutschen Schulakademie durchgeführt wird, teilgenommen. Im Interview mit dem Schulportal erklärt Irene Leser von der Humboldt-Universität zu Berlin, was sie daran begeistert hat und warum sie ihren Studierenden die Lernreise ans Herz legt.

Eine Gruppe von Erwachsenen betritt im Rahmen der Lernreise die Primusschule Berg Fidel Münster
Die Primus Schule Berg Fidel in Münster bietet gemeinsames Lernen von Klasse eins bis zehn. Das Projekt „Prinzip Lernreise“ hat nun Dozierenden aus der universitären Lehramtsausbildung ermöglicht, diese erfolgreiche Schule kennenzulernen.
©Valentin Wieker

Schulportal: Frau Leser, Sie sind in der Lehramtsausbildung tätig. Welche Berührungspunkte mit der Praxis haben Sie in Ihrem Berufsalltag?
Irene Leser: In verschiedenen Seminaren begleite ich Lehramtsstudierende bei ihren Schulpraktika. An der Humboldt-Universität wird dabei das Forschende Lernen großgeschrieben. Studierende gehen mit einer Forschungsfrage in eine Schule, beobachten oder befragen Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler oder Eltern und tragen Daten zusammen, die sie anschließend auswerten. Die in Schulen gemachten Praxiserfahrungen werden in meinen Seminaren reflektiert. Entsprechend sind meine aktuellen Berührungspunkte vor allem sehr viel „erzählte“ Praxiserfahrungen der Studierenden.

Das Projekt „Prinzip Lernreise“, an dem Sie kürzlich teilgenommen haben, will den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gerade Praxiserfahrung ermöglichen. Zum einen sollen die Beteiligten von erfolgreichen Schulen lernen und zum anderen einen Einblick in die Praxis erhalten. Welchen Erwartungen hatten Sie an die Lernreise?
Zunächst wollte ich einfach mal schauen, was hinter dem Format der Lernreise steckt. Denn schon oft hatte ich davon gehört. Ich wollte erleben, was die Studierenden auf ihren Lernreisen erfahren. Ähnlich wie sie wollte ich mit Gleichgesinnten, in meinem Fall mit Kolleginnen und Kollegen aus der Humboldt-Universität, der Freien Universität und der Uni in Potsdam, gute Schulen besuchen und erfahren, was sie zu guten Schulen macht. Außerdem habe ich mir gewünscht, Erfahrungen für die Lehre zu sammeln, um den Studierenden davon berichten zu können.

Wie haben sich Ihre Wünsche und Vorstellungen, die mit der Lernreise verbunden waren, erfüllt?
Meine Erwartungen wurden sogar übertroffen – ich bin sehr begeistert. Ich habe sehr viele unterschiedliche Einblicke in die besuchten Schulen bekommen können und bin auch sehr angetan von dem, wie die Studierenden und das Team der Schulakademie das Format Lernreise organisiert haben. Sie haben uns Lehrenden so viel Organisatorisches abgenommen und ein Programm geliefert, bei dem wir sehr viel erfahren und lernen konnten.

Gibt es von den vielen Gesprächen und Begegnungen einen Moment, der Ihnen nachhaltig in Erinnerung bleiben wird?
Das sind mehrere. Als Kindheitsforscherin möchte ich eine ganz kleine Begegnung schildern. Ich denke dabei an ein Mädchen, das zum Zeitpunkt unserer Hospitation erst seit zwei Wochen Schülerin der Primus Schule Münster war. Sie kam in der Pause zu mir und sagte: „Komm, ich zeige dir jetzt mal die Schule.“ Und genau das hat sie dann auch gemacht. Sie hat mir alles gezeigt, was in der Schule für sie wichtig war: den Pausenhof, das Klassenzimmer und anderes mehr. Ihre große Aufgeschlossenheit, das Urvertrauen und die Selbstverständlichkeit, ihre Schule zu präsentieren, haben mich sehr berührt. Ich schätze, dass sie in den zwei Wochen schon sehr viel von der Offenheit, die in der Schule herrscht, mitgenommen hat.

Wie sah denn ein Lernreise-Tag für Sie und die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus?
Am Abend vor einem Schulbesuch haben wir eine kurze Einführung in die jeweilige Schule erhalten. Am nächsten Morgen sind wir dann in die Schule gefahren und haben zum Start vor Ort mit der Schulleitung oder einer Lehrkraft gesprochen. Danach standen die Unterrichtshospitationen auf dem Programm und im Nachgang gab es ein weiteres Gespräch. Dabei hatten wir Gelegenheit, Rückfragen zu stellen. An manchen Schulen haben wir einen ganzen Vormittag lang den Unterricht, einschließlich der Pausen, mitverfolgen können. In anderen Schulen haben wir kleinere Ausschnitte gesehen und dafür mehr mit den Lehrkräften gesprochen. Nachmittags haben wir dann innerhalb der Lernreise-Gruppe über unsere neuen Erfahrungen diskutiert und reflektiert, wie wir diese mit eigenem fachlichen und theoretischen Wissen in Verbindung bringen. Gerade diese Reflexionen empfinde ich als sehr gewinnbringend, um darüber nachzudenken, wie Schulen funktionieren. Die Reflexionen sind für mich ein elementarer Bestandteil für die Lehramtsausbildung.

Welches Wissen aus der Lernreise möchten Sie darüber hinaus an Ihre Studierenden weitergeben?
Das ist auf der einen Seite das Bild der Deutschen Schulakademie über gute Schule. Es ist nicht irgendein Bild, sondern ein buntes Bild. Auf der anderen Seite steht die Frage, was eine Schule zur Schulpreisträgerschule macht. Hier habe ich über die drei Schulen, die wir besucht haben, einen größeren Einblick erhalten. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Erkenntnis, dass es die eine gute Schule nicht gibt, sondern dass jede Schule für sich ihre Kriterien und ihre gelebte Schulkultur entwickelt – und wenn möglich in ein stimmiges Konzept bringt. Außerdem gebe ich den Studierenden jetzt mit auf den Weg, wie stark individualisiertes Lernen in manchen Schulen bereits gelebt wird – und wie es funktionieren kann.
Last, but not least: Ich habe gelernt, wie wichtig das Format Lernreise ist und wie spannend es ist, wenn Studierende mehr reflektierte Praxiserfahrung im Studium sammeln können. Ich werde den zukünftigen Lehrkräften ans Herz legen, selbst an einer Lernreise teilzunehmen.

Auf einen Blick

  • Das Projekt „Prinzip Lernreise“ ist ein neues Format für die Lehramtsausbildung – die „Lernreise“ schickt Studierende zu den interessantesten Schulen Deutschlands.
  • Die Studierenden erhalten so die Chance, „den eigenen Horizont zu erweitern, inspirierende Vorbilder zu treffen, reale Herausforderungen im Team zu lösen und sich einer Antwort auf die Frage nach der guten Schule zu nähern“.
  • Erstmalig hat das Projekt jetzt die Rollen getauscht und nicht Studierende mit zu den Schulen genommen, sondern in der Lehramtsausbildung tätige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Lernreise eingeladen.
  • „Prinzip Lernreise“ ist ein gemeinsames Projekt der Initiative Kreidestaub e.V. und der Deutschen Schulakademie.
  • Erfahren Sie mehr über das „Prinzip Lernreise“ auf der Website des Projekts.

Mehr zum Thema

  • Jakob Erichsen ist Mitinitiator vom „Prinzip Lernreise“. In einem Gastbeitrag für das Schulportal plädiert er für den Versuch und den Mut, ein soziales Leistungsverständnis zu entwerfen. Lesen Sie hier seinen Gastbeitrag „Warum wir den Leistungsbegriff neu denken müssen“.
  • Bei der Lernreise erfolgt die Schulauswahl durch die Teilnehmenden selbst – geleitet sowohl von individuellem Interesse, als auch dem Anspruch, eine heterogene Auswahl zu treffen, die es den Teilnehmenden ermöglicht, verschiedenste gute Schulen zu erleben. Die Preisträgerschulen des Deutschen Schulpreises gehören zu den am häufigsten besuchten Schulen der Lernreise. Deren praxiserprobte Konzepte sind Herzstück des Schulportals. Hier finden Sie alle Konzepte der Preisträgerschulen.
  • Schulportal-Kolumnist Jannis Andresen gehört zu den Gründern von „Kreidestaub“ , einer bundesweiten Initiative von Studierenden aus dem Bildungsbereich. Für das Schulportal berichtet er regelmäßig über Themen aus dem Bildungsbereich, die ihn bewegen. Hier geht es zu den Kolumnen von Jannis Andresen.
  • Das Schulportal berichtet regelmäßig über aktuelle Themen der Lehramtsausbildung. Hier sind alle Beiträge aus dem Bereich „Aus- und Fortbildung“ gebündelt.

Zur Person

  • Irene Leser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.
  • Sie ist für die Forschungskoordination zuständig: Irene Leser bringt verschiedene Projektpartner miteinander in Verbindung und unterstützt sie, gemeinsame Projekte – zum Beispiel im Bereich Digitalisierung – zu generieren.
  • Darüber hinaus ist Irene Leser in der Lehre tätig – zur Hälfte in den Erziehungswissenschaften und zur anderen Hälfte in der Lehramtsausbildung. Hier kümmert sie sich in erster Linie um Praktika und Forschungsprojekte, die den Lehramtsstudierenden Einblicke in die Praxis ermöglichen und die Verknüpfung mit theoretischem Wissen ermöglichen sollen.