Franziska Giffey : Das Prinzip Neukölln gegen Politikverdrossenheit

Im März wechselte Franziska Giffey (SPD) vom Amt der Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln auf den Posten der Bundesfamilienministerin. Für ein Porträt hat das Schulportal die Ministerin auf ihrer Sommerreise begleitet. Auch als Bundesministerin macht es Franziska Giffey so wie als Bürgermeisterin von Neukölln: Sie geht zu den Leuten, hört zu und entscheidet, was zu tun ist. Doch es ist längst nicht mehr so einfach für sie, schnell umzusetzen, was sie für nötig hält.

Die Bundesfamilienministerin sitz an einem Tisch mit Kindern, die mit kleinen Plüschadlern spielen.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) besuchte im Rahmen ihrer Sommerreise ein Familienzentrum in Hessen.
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Bundesfamilienministerin vor dem Rathaus in Chemnitz umringt von Journalisten
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (m) beantwortet neben Barbara Ludwig (r), Bürgermeisterin von Chemnitz, vor dem Rathaus die Fragen der Journalisten.
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Franziska Giffey sitzt sie zwischen den Kindern und einer Erzieherin (l) und bastelt an einem Schmetterling aus Papier. Das Projekt unterst¸tzt Eltern mit Migrati
Franziska Giffey (SPD), Bundesfamilienministerin, war auf ihrer Sommerreise auch beim "Netzwerk Elternbegleitung" in Neu-Isenburg in Hessen.
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Franziska Gipfel hält im Stadion Frankfurt den DFB-Pokal in den Händen. Rechts neben ihr steht Eintracht-Spieler Danny da Costa.
Franziska Giffey (SPD), Bundesfamilienministerin, besucht das Projekt "Lernort Stadion" in der Commerzbank-Arena in Frankfurt. Dabei geht es um die Integrationskraft des Sports.
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Bundesfamilienministerin Franziska Giffey hält einen kleinen Plüschadler hoch. „Ihr dürft jetzt entscheiden, wie der heißen soll“, sagt sie zu den Kita-Kindern des Familienzentrums Ludwig-Uhland-Straße in Maintal. Die Einrichtung hat den ersten Deutschen Kita-Preis gewonnen. Der Adler ist das Maskottchen dieses Preises, den Giffey ins Leben gerufen hat. Er soll „Freddy“ heißen, entscheiden die Kinder.

Franziska Giffey nimmt die Sache mit dem Namen so ernst, als würde es um große Politik gehen. Das ist ihr Stil. Sie kümmert sich, auch um scheinbare Kleinigkeiten. Das hat sie schon immer so gemacht – zuerst als Bildungsstadträtin, dann als Bürgermeisterin von Berlin Neukölln. Dass sie nun Bundesministerin ist, ändert für sie offenbar nichts an diesem Prinzip.

Rechtsextremismus ist kein ostdeutsches Problem

Maintal ist eine von insgesamt sieben Stationen auf der ersten Sommerreise der Bundesfamilienministerin. Giffey trägt ein rotes Kleid und schwarze Lackschuhe, die Haare sind hochgesteckt. Sie sieht jünger aus als 40, und sie wirkt hellwach, obwohl sie am ersten Tag ihrer Reise schon kurz nach drei Uhr morgens aufgestanden ist. Sie war noch auf einer Sitzung im Bundestag, bevor sie mittags nach Frankfurt am Main flog. Dort wartete schon der Bus, an Bord viele Journalisten.

Als Erstes wird Giffey auf die rechten Ausschreitungen in Chemnitz angesprochen. Was sagt sie dazu? Die Ministerin ist in Ostdeutschland aufgewachsen, in einem Dorf nahe Frankfurt (Oder). In Chemnitz hätten sich Rechte aus der ganzen Republik getroffen, sagt sie, Rechtsextremismus sei kein ostdeutsches Problem. Sie räumt aber ein, dass das gewaltbereite Verhalten etlicher junger Männer mit deren ostdeutscher Herkunft zu tun haben könnte. „Die sind zwar nicht in Ostdeutschland aufgewachsen – aber ihre Eltern. Die haben nach der Wende ihre Jobs verloren, fühlten sich gedemütigt, waren frustriert darüber, es nicht geschafft zu haben. Das prägte ihre Kinder.“

Giffey entscheidet, ihre Sommerreise zu verlängern und auch noch Chemnitz zu besuchen. Am Freitag wird sie dort sein, als erstes Mitglied der Bundesregierung. Sie wird Blumen am Tatort niederlegen, an dem am vorvergangenen Wochenende ein Mann durch Messerstiche getötet wurde. Und sie wird den Chemnitzern etwas versprechen: „Wir lassen euch nicht allein.“ Der Bund werde jenen den Rücken stärken, die sich für eine tolerante Stadt einsetzen.

Es gibt Kommunikationsprobleme zwischen Politikern und Bevölkerung

So hat sie es bisher immer gemacht: hingehen, zuhören, handeln. Sie wiederholt diesen Dreischritt wie ein Mantra, überzeugt davon, dass er ihr helfen wird, gute Politik zu machen.

Hingehen und mit den Menschen reden. Giffey kann das. Egal, ob sie mit Kindern zu tun hat, mit Jugendlichen oder Erwachsenen. Und sie geht nicht nur auf jene zu, die immer was zu sagen haben, sondern fragt auch die, die am Rand stehen.

„Sind hier auch normale Bürger?“, ruft sie am Mittwochabend über den Platz vor dem Historischen Museum in Frankfurt am Main, wo sie gleich eine Rede halten soll. „Kommen Sie mal ran!“ Die Leute kommen. Manche sind zunächst ein wenig verdutzt – das soll eine Bundesministerin sein? Dann hat Giffey sie aber schnell in ein Gespräch verwickelt. Mit ihrer offenen Art schafft sie, was viele Politiker nicht können: Sie gewinnt das Vertrauen ihres Gegenübers. Anders als etwa die Bundeskanzlerin, bei der das Gespräch mit Leuten auf der Straße oft wirkt wie eine Pflichtübung.

Gesetze durchzubekommen erfordert viel Geduld

„Mein Herz schlägt noch immer für das Kommunale“, sagt Giffey. In den Gesprächen, die sie auf der Reise führt, ist das zu spüren. Meist hat sie Beispiele aus Neukölln parat, erzählt etwa, wie sie es dort geschafft haben, dass mehr Kinder schwimmen lernen. Es gebe ein Kommunikationsproblem zwischen Bevölkerung und Politik, sagt Giffey. Die Politiker würden alle möglichen Gesetze erlassen, doch schon deren umständliche Bezeichnung sorge oft dafür, dass die Leute sich überfordert fühlten. „Wir müssen viel genauer erklären, was wir da eigentlich machen.“

Mit dem „Prinzip Neukölln“ könnte Giffey aber auch an ihre Grenzen stoßen. Als Bundesministerin ist es eben nicht so einfach, Vorhaben so durchzusetzen wie als Bezirksbürgermeisterin. Das hat sie bei ihrem Kita-Gesetz gemerkt. Gesetze müssen durch viele Gremien, stoßen auf Widerstand. „Man braucht sehr viel Geduld“, sagt Giffey. Daran müsse sie sich erst gewöhnen. Sie habe aber schon etwas gelernt auf Bundesebene, sagt sie später während ihrer Rede in Frankfurt: „Penetranz schafft Akzeptanz.“ Die Leute im Saal lachen und klatschen.

Im September soll das von Giffey angekündigte „Gute-Kita-Gesetz“ vom Kabinett verabschiedet werden. Es sieht bis 2022 Ausgaben des Bundes in Höhe von 5,5 Milliarden Euro vor, um die Qualität der frühkindlichen Erziehung zu verbessern.

Meist vier Stunden Schlaf, höchstens sechs

Giffey schläft wenig, seit sie Ministerin ist. Meist nur vier, höchstens sechs Stunden. Auch für die Familie bleibt wenig Zeit. Ihre Eltern unterstützen sie – „zum Glück“, sagt sie. Einmal in der Woche versucht sie, schon nachmittags zu Hause zu sein, um Zeit für ihren neunjährigen Sohn zu haben. Sooft es geht, liest sie ihm abends ein Buch vor – und schläft manchmal selbst ein dabei.

Auch wenn sie schon mal wie eine eifrige Lehrerin rüberkommt, Giffeys bodenständiger Politikstil könnte bewirken, dass sich wieder mehr Menschen ernst genommen fühlen – das stimmt hoffnungsvoll, angesichts wachsender Politikverdrossenheit und zunehmendem Populismus.

„Was müssen wir tun, damit so etwas wie in Chemnitz nicht wieder passiert?“, fragt die Ministerin Jugendliche, die sich nachmittags im Stadion von Eintracht Frankfurt treffen – einem außerschulischer Lernort, das dazugehörige Projekt wird vom Bundesfamilienministerium gefördert. Die 16-jährige Emilia meldet sich. Sie sagt: „Viele Schüler verstehen nicht, worum es geht. Sie müssen Politik als etwas vermitteln, das wichtig ist.“

Emilia trifft damit ins Schwarze. Es ist genau das, was Franziska Giffey seit Jahren versucht.

Zur Person

  • Franziska Giffey wurde am 3. Mai 1978 in Frankfurt (Oder) geboren.
  • Von 1993 bis 2001 studierte Giffey Verwaltungsrecht an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin.
  • Mit 29 Jahren trat sie in die SPD ein.
  • Von 2003 bis 2005 absolvierte sie an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege ein Masterstudium der Fachrichtung Europäisches Verwaltungsmanagement.
  • Von 2002 bis 2010 war Giffey Europabeauftragte des Berliner Bezirks Neukölln. Von 2005 bis 2010 absolvierte sie nebenberuflich ein Promotionsstudium in Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.
  • Von 2010 bis 2015 war sie Bezirksstadträtin für Bildung, Schule, Kultur und Sport in Neukölln.
  • Von 2015 bis 2018 war sie Bezirksbürgermeisterin von Neukölln und Leiterin der Abteilung Finanzen und Wirtschaft.
  • Seit dem 15. März 2018 ist sie Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.