Alternative zum Königsteiner Schlüssel : Wie Ressourcen vom Bund gerechter verteilt werden können

Der Königsteiner Schlüssel steht bei der Verteilung von Bundesgeldern im Bildungsbereich schon lange in der Kritik, weil die Mittel auf dieser Berechnungsgrundlage nicht bedarfsgerecht verteilt werden. Im Auftrag der Bildungsgewerkschaft GEW haben Wissenschaftler jetzt ein Gutachten erstellt und darin eine Alternative zum Königsteiner Schlüssel aufgezeigt. Ziel ist es, die Gelder so zu verteilen, dass sie da ankommen, wo sie gebraucht werden. Das Schulportal zeigt, auf welchen Indikatoren dieser alternative Verteilungsschlüssel aufbaut und welche Länder davon profitieren würden.

Haufen mit Münzen als Symbol für Verteilung von Geldern nach dem Königsteiner Schlüssel
Fördermittel im Bildungsbereich werden bei Bund-Länder-Vereinbarungen bislang über den Königsteiner Schlüssel verteilt. Aber es gibt auch eine Alternative.
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„Wer hat, dem wird gegeben.“ Wenn Bundesgelder im Bildungsbereich verteilt werden, lässt sich dieser Matthäus-Effekt immer wieder beobachten. Eine Ursache ist der Königsteiner Schlüssel, die Berechnungsgrundlage, nach der finanzielle Mittel im Rahmen von Bund-Länder-Vereinbarungen verteilt werden. Der Königsteiner Schlüssel berechnet sich zu zwei Teilen nach dem Steueraufkommen und zu einem Teil nach der Bevölkerungszahl im jeweiligen Bundesland. Daraus folgt, dass finanzstärkere Länder mehr von den Zuwendungen profitieren als ärmere Länder, und damit verstärkt sich auch die Bildungsungleichheit.

„Der Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungserfolg ist in Deutschland immer noch sehr groß, daher müssen wir einen Weg finden, Ungleiches ungleich zu behandeln“, sagt die GEW-Vorsitzende Maike Finnern. Deshalb hat die Bildungsgewerkschaft ein Gutachten in Auftrag gegeben, das jetzt vorgestellt wurde.

Königsteiner Schlüssel berücksichtigt keine sozialen Faktoren

Wissenschaftler um den Erziehungswissenschaftler Detlef Fickermann haben darin an vier Beispielen gezeigt, zu welchen Ungerechtigkeiten die Verteilung von Geldern im Bildungsbereich nach dem Königsteiner Schlüssel führen kann. Und sie haben ein alternatives Berechnungsmodell entwickelt, den multiplen Benachteiligungsindex (MBI), der auch den Aufbau der Bevölkerung und sozioökonomische Aspekte berücksichtigt.

Diese Berechnungsgrundlage bezieht sich nicht wie der Königsteiner Schlüssel nur auf zwei, sondern auf vier Dimensionen: Wirtschafts- und Finanzkraft, soziale Bedürftigkeit, Bildungsstand und Bevölkerung. Innerhalb dieser vier Bereiche gibt es wiederum mehrere Faktoren, die in den Index einfließen.

Der Multiple Benachteiligungsindex

Berechnung Grafik Alternative zu Königsberger Schlüssel
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  • Die Faktoren werden unterschiedlich gewichtet und gewertet. Hohe Werte in der Dimension Finanz- und Wirtschaftskraft wirken sich negativ auf den MBI aus, weil sie für die Länder eine Besserstellung bedeuten.
  • Der MBI für ein Land ergibt sich aus der Summe der dimensionsspezifischen Werte, geteilt durch vier, also die Anzahl der Dimensionen.

Im Vergleich zum Königsteiner Schlüssel würden sich bei dieser Berechnungsgrundlage deutliche Verschiebungen bei der Verteilung von Bundesgeldern ergeben. Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Sachsen und Thüringen würden demnach weniger Geld bekommen. Länder wie Bremen, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland würden hingegen profitieren. Für die anderen Länder würde sich kaum etwas ändern.

Dass auch einige ostdeutsche Länder bei diesem Verteilungsschlüssel schlechter gestellt wären, wirkt zunächst überraschend. Tatsächlich aber sind Brandenburg, Sachsen und Thüringen zwar deutlich benachteiligt bei der Wirtschafts- und Finanzkraft, allerdings gibt es in diesen Ländern viel weniger Jugendliche mit Migrationshintergrund, und der Bildungsstand der Bevölkerung ist insgesamt höher. Beide Faktoren haben erhebliche Auswirkungen auf die Situation an den Schulen.

Corona-Pandemie hat Bildungsungerechtigkeit weiter vergrößert

Ziel der neuen Berechnungsgrundlage ist es, die spezifischen Gegebenheiten in den Ländern stärker zu berücksichtigen. Allein die Unterschiede zwischen Stadt- und Flächenländern könnte ein rein formales System wie der Königsteiner Schlüssel nicht abbilden, sagt Detlef Fickermann. Der MBI hingegen ermögliche es, die Verteilung der Mittel viel genauer an bestimmte Zielgruppen anzupassen, außerdem sei er flexibel handhabbar. So könnten bei Bedarf die einzelnen Faktoren zum Beispiel zur Bevölkerung oder zur sozialen Bedürftigkeit noch spezifischer definiert werden, wenn sich zum Beispiel ein Förderprogramm nur auf eine bestimmte Schulstufe bezieht.

Wie wichtig eine Neuverteilung der Mittel ist, hat auch die Corona-Pandemie gezeigt. Die Bildungsschere hat sich in dieser Zeit noch weiter geöffnet. Und die Förderprogramme hätten hier nicht ausreichend gegensteuern können – auch wegen der wenig bedarfsgerechten Verteilung der Mittel. Das Gutachten zeit das am Beispiel des Sofortausstattungsprogramms für digitale Endgeräte und des Corona-Aufholprogramms. Demnach standen beim Sofortausstattungsprogramm in Bayern den 6- bis 18-Jährigen jeweils 910 Euro zur Verfügung, in Bremen nur 228 Euro. Im Mittel waren es 428 Euro. Beim Corona-Aufholprogramm lag der Durchschnittswert pro Kind bei 119 Euro, er differierte zwischen den Ländern aber um 25 Euro.

Wie werden die Mittel beim neuen Startchancen-Programm verteilt?

Insbesondere mit Blick auf das jetzt vereinbarte Startchancen-Programm, mit dem 4.000 besonders benachteiligte Schulen in Deutschland unterstützt werden sollen,  scheint eine neue Berechnungsgrundlage notwendig. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sagte im August im Interview mit dem Deutschen Schulportal: „Mit dem Corona-Aufholprogramm haben wir nicht immer diejenigen erreicht, die wir erreichen wollten, und das darf mit dem Startchancen-Programm nicht passieren.“

Dass das Gutachten für die GEW gerade jetzt veröffentlicht wird, ist daher auch kein Zufall, denn bis zum 30. September 2022 soll für das Startchancen-Programm ein konkretes Konzept vorgelegt werden. Ob dabei tatsächlich auch über einen neuen Verteilungsschlüssel diskutiert wird, ist noch völlig offen.

Königsteiner Schlüssel

  • Der Königsteiner Schlüssel regelt, wie die Länder bei gemeinsamen Finanzierungen beteiligt und wie Bundesgelder auf die Länder verteilt werden.
  • Der Anteil richtet sich zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl in einem Bundesland. Auf dieser Grundlage wird der Königsteiner Schlüssel jedes Jahr neu vom Büro der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz berechnet.
  • Ursprünglich wurde der Königsteiner Schlüssel für die Berechnung der Länderanteile bei Zuschüssen für außeruniversitäre, wissenschaftliche Forschungseinrichtungen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) oder die Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft eingeführt. Heute geht die Anwendung weit über den Forschungsbereich hinaus. So dient er auch als Berechnungsgrundlage bei gemeinsamen Bildungsausgaben oder bei der Verteilung von Geflüchteten.
  • Der Name geht auf den Ort Königstein im Taunus zurück, wo die westdeutschen Länder 1949 die Vereinbarung zum Königsteiner Schlüssel getroffen hatten.